Westdeutsche Zeitung: Rainer Brüderle ist nicht die Alternative zu Philipp Rösler – Die FDP muss sich neu erfinden Ein Kommentar von Lothar Leuschen

Beinahe hätte sich Mitleid breitgemacht im
Gefühlskostüm des Beobachters von Philipp Rösler in der Stuttgarter
Staatsoper. Leise, immer nach aufmunternden Blicken suchend, lavierte
sich der Vorsitzende der FDP durch seine Rede. Aber ausbleibende
Jubelstürme und nur wenig Applaus stellten ihm das Zeugnis aus,
dessen Inhalt er schon vorher erwartet haben wird: Klassenziel nicht
erreicht. Rösler wird als wohl größte Fehlbesetzung in die Geschichte
seiner Partei eingehen. Die Frage ist nur noch, wann er abtreten
muss.

Aber Mitleid ist dennoch fehl am Platze. Der Mediziner ist
schließlich nicht in das Amt gezwungen worden. Er stand vielmehr
Gewehr bei Fuß, als es darum ging, den damals ungeliebten Parteichef
Guido Westerwelle abzusetzen. Dessen Gerede von „spätrömischer
Dekadenz“ und „anstrengungslosem Wohlstand“ hat der FDP zwar mehr
geschadet, als Rösler es je könnte. Aber Westerwelle ist längst
rehabilitiert. Rösler hingegen hat nie in den Anzug gepasst, den er
sich überzog.

Wenn Mitleid überhaupt angebracht ist, dann mit jenen, denen die
FDP, denen der Gedanke von Freiheit und Bürgerrechten viel bedeutet.
Sie werden von ihrer einstigen politischen Heimat seit Jahr und Tag
verstoßen. An diesem Eindruck konnte auch das Dreikönigstreffen von
gestern nichts ändern. Es ging wieder nicht um die Sache, um
Standpunkte und Inhalte. Es ging um das Personal. Die Führungskräfte
konnten nachher zum Gruppenbild noch so sehr in die Kamera strahlen.
Sie überblendeten nicht, dass diese Partei zerstritten ist und seit
2009 führungslos von Wahlniederlage zu Wahlniederlage taumelt.

Wahrscheinlich haben jene recht, die nicht glauben, dass die FDP
noch bis zum ordentlichen Parteitag im Mai damit warten kann, einen
neuen Vorsitzenden zu wählen. Aber die Gefahr ist groß, dass ein
Putsch jemanden an die Spitze brächte, der die FDP der Vergangenheit
repräsentiert. Allen Beifallsstürmen von Stuttgart zum Trotz ist
nicht Rainer Brüderle die Bremse der Talfahrt. Die FDP muss sich auf
ihre Wurzeln besinnen und sich gleichzeitig neu erfinden. Der das
kann, sitzt in NRW. Er heißt Christian Lindner. Aber er kommt erst,
wenn im Hintergrund kein Festzeltgladiator wie Brüderle mehr seine
Messer wetzt.

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