Das sieht doch zumindest auf den zweiten Blick
nach einer guten Nachricht aus: Deutschlands Wirtschaft braucht
wieder mehr Fachkräfte, und junge Leute haben eine große Auswahl,
attraktive Ausbildungsstellen zu finden. Allein im Handwerk sind noch
15 000 Plätze zu vergeben. Das hatten wir in den 60er Jahren schon
einmal, als zu Zeiten der Vollbeschäftigung Lehrlinge heiß umworben
und im offiziellen Sprachgebrauch zu „Auszubildenden“ aufgewertet
wurden. Der Unterschied zwischen damals und heute sind die jungen
Leute selbst. Zum einen ist das eine Folge des demografischen Wandels
– die Zahl der Schulabgänger ist rückläufig. Wer am Arbeitsmarkt
Zukunftschancen haben will, muss ausbildungsfähig sein. Das aber sind
viele nicht. Etlichen fehlt die Disziplin, pünktlich und regelmäßig
zur Arbeit zu kommen und sich am Arbeitsplatz einzuordnen. Etlichen
fehlt eine gründliche Schulausbildung. Etliche sind mehr oder weniger
lernunfähig. Das mag man bedauern. Das darf aber nicht dazu führen,
dass die Anforderungen an die Ausbildung und die Qualität der Arbeit,
die die künftigen Fachkräfte einmal verrichten sollen, gesenkt
werden. Deutsche Wertarbeit ist ein Grund dafür, dass es uns in
unserem rohstoffarmen Land besser geht als vielen Menschen in anderen
Ländern. Auch, wenn die EU-Nachbarschaft das Gütesiegel „Made in
Germany“ am liebsten abschaffen und unter dem Sammelbegriff „Made in
EU“ sozialisieren möchte. Die Entwicklung auf dem Fachkräftemarkt
beweist, wie schnell es sich rächt, wenn eine hochentwickelte
Gesellschaft und ihre Wirtschaft bei der Ausbildung ihres Nachwuchses
nach Konjunkturlage verfahren und sozusagen von der Hand in den Mund
leben. Gut ausgebildete Fachkräfte in Handwerk und Industrie sind
ebenso ein Grundpfeiler des Systems wie Ingenieure und Akademiker.
Familie und Schule müssen gefordert, aber auch gefördert werden. Das
ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben einer soliden,
ideologiefreien Bildungsplanung. Wem es nicht gelingt, in jungen
Jahren mit ausreichendem Rüstzeug in einen Beruf einzusteigen, der
Selbstbewusstsein gibt und eine Familie ernährt, der wird auf Dauer
auf Sozialleistungen angewiesen sein. Die andere erwirtschaften
müssen.
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