Westdeutsche Zeitung: Urteil zu Massen-Gentests = von Peter Kurz

Dass „Beinahe-Funde“ – die DNA von Verwandten
des Täters – bei Massen-Gentests nicht verwertet werden dürfen,
befremdet auf den ersten Blick. Doch der Bundesgerichtshof, der dies
so entschied, hat sich an das Gesetz zu halten. Und das hat er auf
seiner Seite. Ein Gesetz allerdings, das in Zukunft die Aufklärung
schwerster Verbrechen verhindern wird. Darum geht es: Immer mal
wieder versuchen die Strafverfolger mit Hilfe von Massen-Gentests,
Vergewaltigern oder Mördern auf die Spur zu kommen. Indem sie beim
Opfer gefundene DNA-Spuren des Täters mit dem Genmaterial eines
größeren Personenkreises vergleichen. Eine umstrittene, aber
gesetzlich erlaubte Methode. Umstritten, weil eine Vielzahl von
Männern zur Speichelprobe gebeten wird. Hunderte, die alle – bis auf
in der Regel einen – unschuldig sind. Die Betonung der Freiwilligkeit
eines solchen Verfahrens ist dabei nur ein Lippenbekenntnis. Wer
nicht mitmacht, gerät automatisch unter Verdacht. Daher sind die
Grenzen für eine solche Reihenuntersuchung eng umrissen. Bezogen auf
den jetzt entschiedenen Fall ist das Gesetz klar. Es erlaubt den
Abgleich nur insoweit, als damit überprüft wird, ob das Erbmaterial
der Getesteten mit der beim Opfer gefundenen DNA übereinstimmt. Im
Klartext: Mit dem Massen-Gentest wird nur nach dem Täter gesucht.
Warum aber darf ein solcher Test nicht darauf abzielen,
„Beinahe-Funde“ zu verwerten – dass also genetische Ähnlichkeit der
DNA von Verwandten die Polizei zum Täter führt? Dahinter steht der
Gedanke, dass niemand einen Verwandten belasten muss. Enge Verwandte
haben im Strafprozess ein Zeugnisverweigerungsrecht. Jemand, der
selbst ein reines Gewissen hat und deshalb am Test teilnimmt, wird
auf diese Weise ausgetrickst – er kann dieses
Zeugnisverweigerungsrecht nicht wahrnehmen. Juristisch sind
Beweisverwertungsverbote nachvollziehbar. Allen voran das Verbot, ein
erfoltertes Geständnis zu verwerten. Zu Recht werden der Polizei
Grenzen bei ihren Ermittlungsmethoden gesetzt. Aber mit dem
Folterfall sind „Beinahe-Funde“ kaum vergleichbar. Und doch ist der
Preis der gleiche: Auf der Strecke bleibt die Wahrheitsfindung und
die Überführung von Vergewaltigern oder Mördern.

Pressekontakt:
Westdeutsche Zeitung
Nachrichtenredaktion
Telefon: 0211/ 8382-2370
redaktion.nachrichten@westdeutsche-zeitung.de
www.wz-newsline.de

Weitere Informationen unter:
http://