Als Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP)
vor einigen Monaten das Wort Vollbeschäftigung in den Mund nahm,
wurde er von der Opposition noch müde belächelt. Es klang angesichts
schlechter Umfragewerte schließlich wie das Pfeifen im Walde. Ende
Oktober nun unterschreitet die Arbeitslosenzahl in Deutschland
erstmals seit 1992 die Grenze von drei Millionen. Das ist natürlich
noch nicht Vollbeschäftigung. Aber bei einer Quote von knapp sieben
Prozent ist dieses Ziel nicht mehr fern. Wirtschaftswissenschaftler
sprechen bei einer Quote von vier Prozent davon, dass alle, die
arbeiten wollen, auch bezahlte Arbeit finden. Arbeitsministerin
Ursula von der Leyen (CDU) jubelt deshalb zu Recht. Dass sie der
üblichen Bekanntgabe durch die Bundesagentur gestern eigennützig
einen Tag vorgriff, gehört dabei ebenso zum politischen Geschäft wie
das Verschweigen der Tatsache, dass dieser Erfolg viele Väter hat.
Doch aller Jubel um die überaus positive Entwicklung darf den Blick
auf die kleinen Schönheitsfehler nicht verstellen. Nach dem Motto
„Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“
betreiben Regierungen seit jeher Zahlenkosmetik, wenn es um das
Ergebnis ihrer Arbeit geht. Mitte der 80er Jahre beispielsweise
ersann die Regierung Kohl die „58er-Regelung“, die jeden über
58-Jährigen aus der Statistik nahm, der nicht mehr vermittelt werden
wollte. Einige Jahre später erfand die Regierung Schröder den
400-Euro-Job, was sich positiv auf die Arbeitslosenquote auswirkte.
Die Große Koalition ließ jene Arbeitssuchenden aus der Statistik
entfernen, die sich von privaten Vermittlern helfen lassen. All das
soll und darf die Leistungen der Politik und der Tarifpartner nicht
schmälern. Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes während der
Finanzkrise etwa und Lohnabschlüsse mit Augenmaß haben Deutschland
wieder zum Mustermitglied der Europäischen Union gemacht. Die
Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt, dass Vollbeschäftigung in
Deutschland wirklich möglich ist. Gut und gerecht ist sie aber nur,
wenn sie auch diejenigen einschließt, die heute nicht mehr in den
Statistiken der Bundesagentur für Arbeit auftauchen.
Vollbeschäftigung ist, wenn arbeiten kann, wer arbeiten will.
Pressekontakt:
Westdeutsche Zeitung
Nachrichtenredaktion
Telefon: 0211/ 8382-2358
redaktion.nachrichten@westdeutsche-zeitung.de