Westdeutsche Zeitung: Warum die Anleger plötzlich die Aktie wieder entdecken = von Martin Vogler

Vor zehn Jahren, als Millionen naive
Börsenneulinge mit der Telekom-Aktie eine Menge Geld verloren, schien
klar, dass Deutschland nie ein Land von Aktionären wird. Zu tief saß
die Enttäuschung. Pauschal wurde das Börsengeschehen als riskante und
skrupellose Spekulation verteufelt. Doch, auch wenn wir gegenüber
vielen anderen Ländern weiterhin Aktien-Entwicklungsland sind,
überrascht es, dass plötzlich so viel mehr Menschen auf die einst
geächteten Papiere setzen. Droht ihnen wieder ein Dilemma wie denen,
die im Boomjahr 2000 kauften und dann ihr Abenteuer deutlich ärmer
beendeten? Wahrscheinlich funktioniert es diesmal besser. Denn einst
hofften – angeheizt durch selbsternannte Stammtisch-Gurus und eine
fahrlässige Telekom-Werbung mit dem Schauspieler Manfred Krug –
euphorisierte Laien auf den schnellen Reichtum. Sie kauften viel zu
teuer ein. Heute hingegen gibt es kaum Spekulationsblasen. Wer jetzt
Aktien erwirbt, sucht angesichts der Krisenstimmung und der extrem
niedrigen Zinsen eine solide Anlageform. Und auch wenn es viele nicht
wahrhaben wollen, sind Aktien genau das. Der kluge Anleger ist kein
Zocker, sondern kauft mit der Aktie etwas Solides, nämlich die
Beteiligung an einem Unternehmen. Wenn dieses gut wirtschaftet,
erhält er jährlich eine Dividende und kann sich vielleicht sogar über
eine Wertsteigerung freuen. Selbst Inflation oder Kriegswirren
überstehen Aktienbesitzer häufig langfristig betrachtet gut. Eine
Erfolgs-Garantie gibt es im Land der Bullen und Bären – das sind die
Symbolfiguren der Börse – allerdings nicht. Wer etwa auf ein
Unternehmen setzt, das individuelle Fehler macht, wird Geld
verlieren. Wenn die Konjunktur in den Keller rauscht, schadet das den
meisten Kursen. Nur wer sich gründlich informiert, das Risiko etwa
dank Fonds streut, langfristig denkt und nicht sein gesamtes Geld zur
Börse trägt, kann es wagen. Wahrscheinlich werden die deutschen
Anleger der Aktie weiterhin treu bleiben. Was außer mit
Erkenntnisgewinn mit der politischen Lage zu tun hat. So lange das
Vertrauen in den Euro weiter sinkt und festverzinsliche Anlagen wegen
niedriger Zinsen bei gleichzeitig höherer Inflation sogar einen
Realverlust bedeuten, bleibt das so. Also noch lange.

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