Westdeutsche Zeitung: Wikileaks = von Lothar Leuschen

Die US-Regierung und die Betreiber der
Internet-Plattform Wikileaks diskutieren heiß über die Frage: „Dürfen
400 000 streng geheime Dokumente über den Irak-Krieg im Internet
veröffentlicht werden? Viel wichtiger ist dabei, warum das
ausgerechnet jetzt geschehen soll. Die Frage nach der Erlaubnis
beantwortet sich verhältnismäßig leicht. Bei den Informationen
handelt es sich offenbar um solche, die mit dem Vermerk „streng
geheim“ versehen sind. Mithin verbietet es sich im Grundsatz, die
Dokumente frei zugänglich zu machen. Da dies aber erklärtes Ansinnen
von Wikileaks ist und wie so oft kaum nachzuvollziehen sein wird,
woher die Papiere kommen, dürfte diese Frage eher akademischer Natur
bleiben. Die Antwort lautet auf jeden Fall: nein. Aber nun ist es
nicht mehr zu ändern. Einmal im Internet, immer im Internet. Also
wird moralisch argumentiert. Die eine Seite spricht von
Informationspflicht, während die andere auf die Gefahr verweist, die
solches Wissen für die USA und deren Verbündete nach sich ziehen
kann. Nun erfährt also jeder, der es nicht durch die Bilder von Abu
Ghraib schon wusste, dass auch der Krieg im Irak schmutzig gewesen
ist. Regeln wurden verletzt, selbst im Krieg geltende Menschenrechte
außer Kraft gesetzt. Das ist Wasser auf die Mühlen jener, die sich
für die Veröffentlichung entschieden haben. Richtig ist aber auch,
dass sich Wikileaks mit dem neuerlichen großen Auftritt
Öffentlichkeit verschafft hat, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass
sich nun noch mehr Islamisten berufen fühlen könnten, Terror
auszuüben. Die US-Regierung kritisiert das zu Recht. Der für alle
Beteiligten schmerzhafte Krieg befindet sich unter Barack Obama in
der Abwicklung. Die einst treibende Kraft des Krieges, George W.
Bush, schaut sich aus dem Ruhestand an, wie sein Nachfolger die
Scherben zusammenfegt, die der Elefant hinterlassen hat. Dass
Wikileaks nun ausgerechnet Obama in die Parade fährt, spricht für
bloße Effekthascherei. Politisch ist es sinnlos. Die Dokumente hätten
deshalb nicht mehr veröffentlicht werden sollen. Heute ist es zu spät
und schadet dem falschen Präsidenten. Die selbst ernannten Aufklärer
haben einen Fehler gemacht.

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