Westdeutsche Zeitung: Wulff bleibt, weil er will und weil er muss = von Lothar Leuschen

Das Fernsehinterview von Christian Wulff hat
weder viel Neues gebracht, noch ändert es die Situation. Dass der
jüngste Bundespräsident in der Geschichte dieser Republik telegen
ist, dass er sich ausdrücken und sehr sympathisch wirken kann, war
auch vorher schon bekannt. Das ist ein Hauptgrund dafür, dass so
viele Bürger dem Mann aus Osnabrück immer noch den Rücken stärken.
Sie sehen einen netten Familienmenschen, der von der geballten
Medienmacht in die Enge getrieben worden ist. Sie verkennen, dass
Wulff dazu allen Anlass gegeben hat. Ein Bundespräsident kann sich
nicht leisten, was Wulff sich wohl in einem Anfall von Panik
geleistet hat. Das muss ihm in den vergangenen Tagen klar geworden
sein. Also ging er gestern abermals in die Offensive. Der Erklärung
vom Dezember folgte das Interview bei ARD und ZDF. Es war seine
letzte Chance. Und was hat es gebracht? Nichts, außer der Erkenntnis,
dass Wulff um sein Amt kämpft wie ein Löwe. Dafür hat er persönliche
und politische Gründe. Mit Anfang 50 steht der Bundespräsident noch
mitten im Berufsleben. Was aber soll noch kommen, wenn er jetzt das
Handtuch wirft, wenn er als gescheitert, skandalumwittert aus dem
höchsten Amt im Staate scheidet? Dann zeigen viele mit dem Finger auf
ihn, tuscheln hinter vorgehaltener Hand über den ehemaligen
Bundespräsidenten und seine Familie. Diese Last mindern auch Pension,
Chauffeur und Büro auf Staatskosten nicht. Aber auch seine
Parteifreunde können Wulff nicht vorzeitig gehen lassen. Kanzlerin
Angela Merkel stünde als Verliererin da. Nach Horst Köhler wäre Wulff
in ihrer Kanzlerschaft schließlich der zweite Präsident, der
vorzeitig abträte. Dies und der Umstand, dass die Kräfteverhältnisse
in der Bundesversammlung derzeit nicht eindeutig sind, zwingen die
Regierungsparteien dazu, an Wulff festzuhalten. Also macht der
Bundespräsident weiter. Doch eine gute Amtszeit wird ihm nicht mehr
vergönnt sein. Die Wogen mögen sich glätten, wenn nicht neue
unangenehme Details aus seinem Privatleben an die Öffentlichkeit
kommen. Aber die Geschichte wird sich für immer an einen
Bundespräsidenten erinnern, der am Ende doch viel zu klein war für
dieses große Amt. Das ist bedauerlich.

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