Pro:
Drei Menschen sterben täglich in Deutschland, weil sie nicht
rechtzeitig mit einem Spenderorgan versorgt werden können. Und mehr
als 10.000 Menschen warten hierzulande auf ein Spenderorgan. Für sie
ist die Transplantation die einzige Möglichkeit, um zu überleben oder
ihre Lebensqualität erheblich zu verbessern. Doch das müsste nicht
sein, wenn es mehr Menschen gäbe, die bereit wären, nach dem Hirntod
– zum Beispiel nach einem Unfall – ihre Organe zu spenden. Es werden
allerdings immer weniger. Die Zahl der Spender erreichte 2017 mit 797
einen Tiefpunkt. Offenkundig haben die vor sechs Jahren aufgedeckten
Transplantationsskandale viele Menschen verschreckt. Deswegen ist es
richtig, dass Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) endlich die Regeln
für Organspenden ändern will. Für jeden Patienten, der auf ein
Spenderorgan wartet, ist Spahns Vorstoß zumindest ein
Hoffnungsschimmer. Andere Länder wie die Niederlande, Österreich,
Schweden, Norwegen, Italien und Spanien haben sich längst für eine
solche Lösung ausgesprochen. In Spanien gibt es auch dank einer
klaren Widerspruchsregelung fünfmal mehr Spender als in Deutschland.
Die Widerspruchslösung erhöht zudem den Anreiz, sich mit dem
sensiblen Thema bereits zu Lebzeiten auseinanderzusetzen. Das schafft
auch für die Angehörigen Klarheit in einer emotional schwierigen
Situation. Gegner der Widerspruchslösung wie die Kirchen äußern
ethische Bedenken und verweisen darauf, dass es keine christliche
Verpflichtung zur Organspende gebe. Andere sind der Meinung, dass das
Recht auf Selbstbestimmung beschnitten werde. Doch es soll keine
Pflicht zur Organspende geben. Jeder kann weiterhin über sich selbst
bestimmen. Und die Entscheidung, ob jemand seine Organe spendet oder
nicht, wird auch in Zukunft eine ganz private bleiben, die es zu
respektieren gilt.
Contra:
In jüngerer Zeit, seit etwa drei Jahren, ist viel von
Menschenwürde die Rede. Manche sehen in Artikel 1 unseres
Grundgesetzes von 1949 eine Handlungsbasis für praktische Politik im
Jahr 2018. Andere lesen die Worte eher als juristische Poesie,
sozusagen als Verfassungslyrik. Ganz handfest wird die
Unantastbarkeit der menschlichen Würde in der Debatte um eine Pflicht
zur Organspende. Denn diese Würde reicht über den Hirn- oder Organtod
hinaus. Und eine Widerspruchslösung, die Jens Spahn einführen will,
widerspricht dem generell. Niemand sollte etwas ablehnen müssen, dem
er nie zugestimmt hat. Das Argument, jeder könnte einmal in die
Situation kommen, auf ein Organ angewiesen zu sein, und müsse deshalb
ganz automatisch auch Spender sein, zieht nicht. Jeder Mensch muss
davon ausgehen können, dass sein Körper nach dem Tod unversehrt
bestattet wird – und nicht als ausgeschlachtetes Ersatzteillager. Wer
möchte, kann aus der geringen Zahl gespendeter Organe den Zerfall der
Gesellschaft oder den Trend zum Hedonismus über den Tod hinaus
ableiten. Doch beim genauen Blick auf den Sachverhalt ergibt sich
eine andere Hauptursache. Laut einer Studie der Zeitschrift
»Deutsches Ärzteblatt« hätte es 2015 insgesamt 2780 Organspenden
geben können; es waren aber nur 877. Die Studie kommt zu dem Schluss,
dass in den Krankenhäusern potenzielle Organspender zu selten erkannt
und gemeldet werden. Da stellen sich diese Fragen: Wie kann das sein?
Wird etwa bei einem Todesfall in einer Klinik nicht automatisch
geprüft, ob die verstorbene Person Organspender ist? Hier, und erst
einmal nur hier, gilt es anzusetzen, bevor irgendwelche Gesetze
erlassen werden. Gesetze, die Angehörige am Sterbebett unter
Zeitdruck setzen, weil ein Organ des Toten gebraucht wird.
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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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