Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu 50 Jahre Anwerbeabkommen

Die türkische Einwanderungsgeschichte beginnt
mit einer falschen Annahme – auf beiden Seiten. Sowohl Deutsche als
auch Türken dachten in den 60ern, das Gastarbeiter-Dasein sei eine
Übergangsphase. Integration schien nicht notwendig. Hier liegt der
Grundstein vieler Probleme. Statt sich mit dieser schwierigen
Ausgangssituation auseinanderzusetzen, fällt der Blick in Zeiten
eines Thilo Sarrazin aber eher auf die schlechten Beispiele. Diese
sind selbstverständlich nicht wegzudiskutieren. Dabei werden aber die
Familien vergessen, die ihr Reihenhaus bereits abzahlten, als der
damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt noch davon sprach, dass
Deutschland kein Einwanderungsland werden wolle. Verallgemeinerung
und Verurteilung stehen oft vor Verständnis und Vertrauen. Kritik ist
erlaubt. Es hilft aber niemandem, wenn Innenminister Hans-Peter
Friedrich (CSU) betont, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Eine
qualifizierte Antwort, welche Rolle der Islam in Deutschland spielt,
hat die losgetretene hitzige Diskussion nicht geliefert. Ein
nüchterner Blick auf die Zahlen hilft weit mehr: 45 Prozent der
türkischen Zuwanderer haben keinen Schulabschluss. Jeder Fünfte
spricht mangelhaft Deutsch. 15 Prozent leben von Hartz IV. Diese
Zahlen belegen: Schwierigkeiten existieren. Und es darf auch gesagt
werden, dass es nicht sein kann, dass jemand, der seit Jahrzehnten in
Deutschland lebt, kein Wort Deutsch spricht. Doch wer ist dafür
verantwortlich? Sicherlich ist es an erster Stelle die Aufgabe des
Einzelnen, sich die neue Sprache anzueignen. In gleichem Maße braucht
es allerdings Unterstützung durch den Staat. Als die ersten
Gastarbeiter kamen, gab es keine Deutschkurse. Die Menschen wurden
sich selbst überlassen. Migrantenkinder kamen nahezu automatisch auf
die Hauptschule. Das war unverantwortlich. Heute ist Integration zum
Modewort mutiert. Gelebt wird sie jedoch nicht automatisch. Das
Klischee vom Dönerbuden-Besitzer hält sich hartnäckig. Dabei
existieren 80 000 deutsch-türkische Unternehmen mit etwa 400 000
Arbeitskräften in Deutschland. Doch es gibt noch viel zu wenige
deutsch-türkische Durchstarter. Cem Özdemir, Mesut Özil und Lale
Akgün reichen nicht. Um diese Zahl zu erhöhen, müssen sich viele
Einwanderer bewegen. Sie dürfen sich nicht kulturell von der
Außenwelt absondern. Auch die Rolle der Frau müssen einige der
Gegenwart anpassen. Wenn Eltern ihren Kindern nicht die notwendige
Bildungs- und Sozialkompetenz mitgeben können, müssen sie sich Hilfe
suchen und annehmen. Integration ist auch Verpflichtung! Auf der
anderen Seite muss sich Deutschland bewegen. Türke gleich Islam
gleich radikal: Das darf nicht die Denkweise der Gesellschaft sein.
Der richtige Weg heißt: voneinander lernen statt aneinander
vorbeileben!

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Andreas Kolesch
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