Für Wladimir Putin gibt es gewiss schmerzhaftere
Sanktionen, als neben der dänischen Königin sitzen zu müssen.
Widerwilliger als dem Platzanweiser beim Mittagessen in der Normandie
dürfte er am Freitag allerdings Angela Merkel gefolgt sein. Die
bugsierte ihn zum Gespräch mit Petro Poroschenko, dem frischgewälten
Präsidenten einer freien Ukraine. Vielleicht raunte die Matriarchin
unter den europäischen Staatenlenkern auf russisch, er möge sich
einen Ruck geben und Poroschenko endlich die Hand reichen. Hinter
verschlossenen Türen ist das keine Anerkennung. Man hörte danach,
François Hollande sei dabei gewesen und habe gelächelt. Alles wieder
gut in Europa? Vor allem, nachdem sich Putin und Obama im weiteren
Tagesverlauf auch noch zusammenhockten? Trotz des flotten
Speed-Datings am D-Day ist die Sache nicht ganz so einfach. Den
Landraub auf der Krim und das Gewährenlassen russischer Unruhestifter
in der Ostukraine will man Putin nicht durchgehen lassen. Druck
machte der britische Premier David Cameron. Der russische Präsident
habe einen Monat Zeit, Poroschenko anzuerkennen und Waffenlieferungen
an die prorussischen Separatisten einzustellen, sagte er. Von einer
Rückgabe der Krim an die Ukraine war allerdings in der deutlichsten
Wortmeldung aus dem Kreis der westlichen Staats- und Regierungschefs
nicht mehr die Rede. Das Gedenken an den 6. Juni 1944 war wie dafür
geschaffen, Putin ein wenig aus der Paria-Rolle herauszuholen, ohne
gleich zur Tagesordnung überzugehen. Die Erinnerung an den
tausendfachen Tod in der Normandie, noch mehr das massenhafte Sterben
in einem von zwei Weltkriegen zerrissenen Europa zeigte die ganze
Dimension auf. Frieden ist nicht selbstverständlich, Freiheit muss
bewahrt werden. Als die USA vor 70 Jahren den Kriegsschauplatz von
Westen her betraten, hatten Russen und Deutsche schon einen
gewaltigen Blutzoll geleistet. Für die USA ging es auch darum, als
Machtfaktor auf dem Kontinent aufzutreten. Die damals eingeschlagenen
Pflöcke halten bis heute – und die anhaltende Präsenz der USA wird
von den allermeisten Europäern begrüßt. 1944 waren Russen und
Amerikaner Verbündete, zwei Jahre später schon nicht mehr. Im
folgenden Kalten Krieg zerrieb sich Russland selbst – gemeinsam mit
den in einen Pakt gezwungenen Staaten Mittelosteuropas. Blockdenken
bringt nichs. Diese Warnung schwingt mit, wenn die Beteiligten auf
den Zweiten Weltkrieg und die Folgen schauen. Der Zwang zum
Zusammenhalt ist unausweichlich, weil der Preis für jede andere
Option so offenkundig ist. Das müsste selbst der Eurasier Putin
verstehen. Das hat auch die Ukraine zu berücksichtigen. Und aus
dieser Einsicht heraus werden die europäischen Mittelmächte allein
und ausschließlich ihre diplomatische Stärke ausspielen.
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