Unvorstellbar, als die Bundeswehr 2003 mitten in
Kundus einen alten Bauernhof bezog, reichte eine bessere Gartenmauer
zum Schutz vor Feinden aus. Zu dieser Zeit reisten Europäer auch
schon mal per Anhalter, wenn sie Kabul auf der später
lebensgefährlichen Dschalalabad-Straße verlassen wollten. Allerdings:
Vor dieser kurzen Blüte von Freiheit und Sicherheit hatten sogenannte
Koranschüler namens Taliban eine Schreckensherrschaft ausgeübt. Musik
hören bedeutete die Peitsche, ehelicher Ungehorsam Steinigung. Wenn
jetzt US-Amerikaner, Taliban und Vertreter der unverändert schwachen
Regierung von Hamid Karsai an einem Tisch sitzen, stellen sich eine
nahe liegende und eine weiter gehende Frage: Wie ist das möglich?
Militärisch gescheitert braucht der Westen den schnellen ehrenhaften
Abzug. Den gibt es nur am Verhandlungstisch, nicht aber in den
unendlichen Talschaften dieses vielleicht niemals zentral
beherrschbaren Landes. Außerdem: Dem Westen gehen Geld, Geduld und
gute Ideen aus. Wohin führen die Gespräche? Zumindest zu einer
»Islamischen Republik Afghanistan«, so wie der Staat heute schon
heißt. In der Verfassung steht längst die Scharia festgeschrieben.
Daneben wird (noch) ein Hauch von Rechtsstaatlichkeit gewahrt.
Kurzum: Foltertod, Frauenfeindlichkeit und innere Unfreiheit werden
nach den Abzug der Isaf-Soldaten wieder zunehmen. Immerhin ist der
internationale islamistische Terror, der nach dem 11. September 2001
erst zum Afghanistankrieg führte, westlich des Kyberpasses
ausgeschaltet. Möglicherweise bleibt dessen Rückkehr für längere Zeit
sogar ausgeschlossen. Schließlich werden die USA Militärbasen und
Europa Entwicklungszusammenarbeit im großen Stil und auf Jahrzehnte
hinterlassen. Der international agierende Terror könnte vor allem
dann außen vor bleiben, wenn Taliban und El Kaida getrennte Wege
gehen. Nach dem Tod von Osama bin Laden und der Schwächung El Kaidas
durch die neuen Freiheitsbewegungen in Nordafrika/Nahost dürfte dies
gelingen. Afghanistan den Afghanen zu überlassen, stabilisiert die
traditionellen Stammestrukturen. Größtes Problem: Die im Aufbau
befindliche Afghanischen Nationalarmee wird nie zu einer Armee der
afghanischen Nation werden. Ein gesamtstaatliches Bewusstsein im Land
der mittelalterlichen Denke und Dutzenden Volksgruppen gab es nie,
ist in den vergangenen zehn Jahren nicht mal in Ansätzen entstanden
und dürfte es künftig auch nicht geben. Folglich bleibt es auch
langfristig bei regionalen Machthabern, Drogenbaronen und schwacher
Zentralregierung. Menschenrechtler müssen die Entwicklung zutiefst
bedauern, westliche Militärs werden ihre Niederlage nur schwer
verkraften, aber US-Präsident Barack Obama dürfte die mühsam gewahrte
gute Miene zum bösen Spiel eine zweite Amtszeit sichern.
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