Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Angela Merkel

Würde Angela Merkel ihre Politik an
Beliebtheitswerten ausrichten, sie hätte einen Riesenfehler gemacht.
Sie sagte am Donnerstag 2,3 Milliarden Euro bei der
Syrien-Geberkonferenz zu. Außerdem beteiligt sich Deutschland mit 428
Millionen Euro am Drei-Milliarden-Scheck der Europäer zwecks
Erweichung des türkischen Sultans Recep Tayyip Erdogan mit der Bitte,
er möge kooperieren: Solche Ausgaben erscheinen vor dem dramatischen
Vertrauensverlust der Deutschen in Merkels Führungsleistung wie
politischer Selbstmord. 81 Prozent der Deutschen, mithin fast jeder,
glaubt laut ARD-Deutschlandtrend, die Bundesregierung habe das
Flüchtlingsproblem nicht mehr im Griff. Man fühlt sich der
Flüchtlingswelle schutzlos ausgeliefert. Das hat Folgen. Bei der
Sonntagsfrage stürzt die Union jetzt in jenen dunklen Umfragekeller,
aus dem die SPD seit Jahren nicht mehr herausfindet. Vollalarm im
Kanzleramt, Sektlaune bei der AfD, Schenkelklopfen an den
Stammtischen. Wie kann die Kanzlerin in dieser Lage in Spendierhosen
nach London jetten? Warum tut Merkel das?

– Weil sie nicht Politik nach der Wetterfahne, sondern aus
Überzeugung macht.
– Weil jeder Cent in den Lagern in und um Syrien mehr bewirkt, als
jeder Euro in einer deutschen Aufnahmeeinrichtung.
– Weil Kriegsflüchtlinge nichts lieber täten, als in ihre alte
Heimat zurückzukehren.
– Weil der syrische Diktator Baschar al-Assad und die anderen
Kriegsverbrecher mit dem Aushungern des eigenen Volkes nicht
durchkommen dürfen.
– Weil nicht Merkel mit ihrer humanitären Geste gegenüber
Flüchtlingen am Budapester Bahnhof im September die größte
Völkerwanderung der Neuzeit ausgelöst hat, sondern Islamisten
und Diktatoren.
– Und weil Deutschland, aus einem ganz anderen Grund, Mitschuld am
Massenexodus aus Syrien, Irak, Libanon und Türkei trägt. Denn
auch Berlin hat seine Beiträge an das Flüchtlingshilfswerk UNHCR
2014 um mehr als die Hälfte gekürzt. Merkel bekannte gestern,
Lebensmittelrationen dürften nie wieder so stark gekürzt werden
wie jüngst geschehen.

Für die Kanzlerin als Einladende der 70 Geberländer war gestern
ein anderes Stimmungsbild wichtiger als die ARD-Umfrage. Würde die
internationale Gemeinschaft sie ebenso im Regen stehen lassen, wie
die EU beim Versuch, gerade einmal 160 000 Flüchtlinge unter 28
Partnern aufzuteilen? Schon vergessen? Die vermeintlich mächtigste
Politikerin der Welt – noch so eine Übertreibung auf der Grundlage
von Umfragen – war im Herbst am Egoismus und verweigerter Solidarität
innerhalb der europäischen Familie gescheitert. Neun Milliarden Euro
sind mittelprächtig. Sie geben für ein bis zwei Jahre Sicherheit,
sofern die Geber ihr Wort halten. Nebenbei: Nur wenn den Kriegsopfern
wirksame Hilfe zukommt, ist auch Merkel geholfen.

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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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