Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Angela Merkel und den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz

Nicht immer sind Landtagswahlen spannend, oft
werden sie zu Unrecht bundespolitisch überhöht. An diesem Wochenende
gilt das nicht. Im Gegenteil. Es geht um sehr viel, auch für Angela
Merkel. Die forscheste Frage lautet: Setzt Sonntag, Punkt 18.00 Uhr,
die Kanzlerdämmerung ein? In Rheinland-Pfalz nichts gewonnen und
Baden-Württemberg krachend verloren: so das Szenario, auf das sich
diese Spekulation stützt. Doch gemach. Selbst im Falle des Falles
steht Angela Merkel nicht zur Disposition – weder als
Regierungschefin noch als CDU-Vorsitzende. Noch nicht, denn wer
sollte sie beerben? Der Union fehlt die Alternative, sie steckt
personell mitten im Umbruch. Zu allem Überfluss ist der eine
Hoffnungsträger – Karl-Theodor zu Guttenberg – gerade weg und muss
sich der andere – Norbert Röttgen – erst noch in Nordrhein-Westfalen
beweisen. Nein, dieser Wahlsonntag muss für Angela Merkel nicht der
Anfang vom Ende sein. Aber er markiert einen Wendepunkt ihrer
Kanzlerschaft – egal, wer fortan im Schwabenland regiert. Und so
verrückt es klingen mag: Eine Niederlage könnte Angela Merkel
womöglich sogar nutzen. Mit dem Atom-Moratorium hat die Kanzlerin
nicht nur Schwarz-Gelb, sondern auch sich selbst ein massives
Glaubwürdigkeitsproblem eingebrockt. Will sie diesem
Glaubwürdigkeitsproblem entkommen, wird sie um eine Neuausrichtung
ihrer Atompolitik nicht herumkommen. Anders gesagt: Brüderle muss
widerlegt werden – nicht mit Worten, sondern mit Taten. Davon muss
die CDU-Vorsitzende zuerst ihre Partei und den Koalitionspartner
überzeugen. Das aber dürfte bei einem Sieg in Baden-Württemberg
schwer werden. Die momentan unter der Decke gehaltenen
Beharrungskräfte in Union und FDP würden, vom mächtigen Südwesten
ausgehend, schnell wieder spürbar werden. Einen Rückzieher vom
Rückzieher aber kann sich Angela Merkel nicht mehr leisten. Sie ist
an einem Punkt angelangt, wo sie ihr politisches Schicksal mit einer
klaren, programmatischen Kursänderung verbinden muss. Eine Situation,
die sie in den gut fünf Jahren ihrer Kanzlerschaft bisher stets recht
erfolgreich zu vermeiden suchte. Damit dürfte es nun vorbei sein: Was
für Gerhard Schröder Agenda 2010 und Hartz IV waren, ist für Angela
Merkel die Atompolitik. Es gibt kein Zurück, und der Erfolg ist
keineswegs sicher. Gelingt der Kanzlerin aber die energiepolitische
Wende, werden die Karten neu gemischt. Die Grünen wären plötzlich
ihres wichtigsten Themas beraubt. Schwarz-Grün wäre – sehr zum
Argwohn der SPD – wieder eine ernsthaftere Option, und die Union sähe
sich strategisch besser denn je im Parteiensystem positioniert. Über
all das wird freilich nicht an diesem Sonntag befunden. Und so ist
die Landtagswahl in Baden-Württemberg zwar für Angela Merkel eine
wichtige Wegmarke. Viel wichtiger aber wird sein, was für eine
Politik sie dieser Wahl folgen lässt.

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261