Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Armstrong und Doping

Seine Geschichte war wirklich zu schön, um wahr
zu sein. Nur 518 Tage nach seiner Hodenkrebs-Diagnose krönte Lance
Armstrong 1999 sein sensationelles Comeback mit dem Tour-Sieg.
Märchenhaft ging es weiter, auch 2000 bis 2005 durfte sich der
US-Amerikaner in Paris das finale Gelbe Trikot des Gesamtsiegers
überstreifen. Spätestens seit gestern kann selbst der aller
Verblendetste es nicht mehr leugnen: Es war alles ein großer
Beschiss. 14 Jahre hat der derzeit 41-Jährige in Parallelwelten
gelebt. In einer war er der Held, der auf dem Rad dem Schicksal und
seiner Konkurrenz ein Schnippchen geschlagen hatte, der für gute
Zwecke spendete und predigte, der Fleißige, der Ehrgeizige könne
alles erreichen. Doch da gab es noch diese andere Seite, da gab es
den großen Manipulator. Illegale Substanzen mussten besorgt, Treffen
mit Ärzten verschleiert, Teamkollegen unter Druck gesetzt werden. 14
Jahre lebte Lance Armstrong mit dem Risiko, enttarnt zu werden.
Spätestens am 24. August 2005 begann die Demontage des Tourminators.
An diesem Tag ordnete die französische Sporttageszeitung L–Équipe
mehrere anonymisierte Urinproben des Jahres 1999 dem Texaner zu. Der
öffentliche Druck wurde hoch gehalten – auch durch ehemalige
Kollegen. Doch der Mann aus Austin verschanzte sich hinter seinen
Anwälten und schoss zurück: alles nur Neider. Warum gesteht Lance
Armstrong also jetzt? Auf eine Reduzierung der Klagen oder
Schadensersatzforderungen kann er nicht wirklich hoffen.
Wahrscheinlich die Hälfte seines auf knapp 120 Millionen Euro
geschätzten Vermögens wird er wohl verlieren. Eher ist es sein
letzter Versuch, einen Rest von Deutungshoheit an seiner
Lebensgeschichte zu behalten, den Menschen zu erzählen: Seht her, ich
konnte nicht anders. Und jetzt erzähle ich euch mal, wer da alles
mitgedreht hat am großen Betrugsrad. Seine ehemaligen Kollegen und
Konkurrenten will er nicht beschuldigen, muss er auch nicht. Denn aus
den jeweiligen Top Ten der Armstrong-Jahre 1999 bis 2005 stehen nur
zwei Fahrer nicht unter Verdacht oder sind schon mal gesperrt
gewesen, viele haben gestanden: Ja, auch wir haben gedopt. Gefährlich
kann Armstrong aber dem System Radsport werden. Denn genauso
unglaubwürdig der Aufstieg Armstrongs war, genauso unwahrscheinlich
ist es davon auszugehen, beim nationalen und internationalen
Radsportverband habe keiner etwas von den Dopingpraktiken gewusst.
Und 500 negative Tests allein beim aktuell Geständigen sagen auch
etwas über deren Sinnhaftigkeit aus. Armstrong hat mal gesagt, er
habe nach den Regeln seiner Sportart gespielt. Und in der war
jahrzehntelang Betrug systemimmanent. Und dennoch bleibt es Betrug
und die Hoffnung, dass Armstrongs letzter Versuch auf ein
Doping-Happyend scheitert.

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