Es ist einfach zu sagen, dass zehntausende
Kosovaren, die aus ihrer Heimat flüchten, ruck, zuck wieder
abgeschoben werden sollen. In der Theorie. Nur derjenige, der in
seinen Gedanken zulässt, dass die Flüchtlinge keine anonyme Masse
sind, sondern einzelne Schicksale, erkennt die Realität. Leichter ist
es natürlich, sich abzuschotten und den Kosovo als unbekanntes Land
im Nirgendwo abzustempeln. Doch es ist Teil Europas.
Außerdem trägt der Westen zumindest eine Mitverantwortung für den
desolaten Zustand des Kosovo. Was gerade geschieht, ist die zweite
Niederlage in der Geschichte des militärischen Engagements auf dem
Balkan. Der Kriegseinsatz brachte dem Land keine Lösung. Ziel der
anschließenden Mission mit Deutschland als größtem Truppensteller ist
es bis heute, ein sicheres Umfeld aufzubauen und öffentliche Ordnung
herzustellen. Funktioniert hat auch das nicht. Kosovo-Serben und
-Albaner bleiben Feinde. Übergriffe sind die Regel, keine Ausnahme.
In der geteilten Stadt Mitrovica wagt sich niemand mehr im Dunkeln
aus dem Haus. Sieht so ein »sicherer Herkunftsstaat« nach dem
Verständnis unseres Asylrechts aus? Wer fordert, den Kosovo so zu
nennen, muss auch so konsequent sein, den Abzug deutscher Soldaten zu
fordern. Handelt es sich um sicheres Terrain, ist die Mission ad
absurdum geführt. Doch diese Forderung ist nicht zu hören.
Die internationale Truppe hat den Kampf gegen die Korruption im
Kosovo verloren. Wer eine Herz-OP oder Krebsbehandlung braucht, muss
Ärzte bestechen. Wenn Geld da ist . . . Das haben wenige. Jeder
Dritte ist arm, lebt von 1,40 Euro am Tag. Jeder zweite junge Mensch
ist arbeitslos. Keine Bildung, keinen Job, kein Essen: Wer will da
verdenken, dass einen die Sehnsucht gen Westen packt? Nur wenn die
internationale Gemeinschaft endlich dafür sorgt, dass sich die Lage
im Kosovo verbessert, hat sie ein Recht, über Flüchtlingsströme zu
klagen und deren schnellere Abschiebung voranzutreiben. Toleriert sie
weiter wirtschaftlich und politische Korruption, fördert sie die
Abwanderung.
Wenn Europa wirklich etwas tun will, sollte es konsequenter gegen
Menschenhändler vorgehen. Sie versprechen Flüchtenden ein
Aufenthaltsrecht plus Ankunftsgeld. Sie sind die Verbrecher. Nicht
die verzweifelten Flüchtlinge, die mit Kindern im Schlepptau
Kilometermärsche auf sich nehmen oder sogar den qualvollen Tod auf
offener See riskieren, wie das Beispiel Lampedusa zeigt. Wenn
innerhalb Europas schon der Drang zur Flucht in Länder wie
Deutschland so groß ist – wie muss dann die Gefühlslage derer
aussehen, die aus Afrika in überfüllte Boote steigen, um dem Traum
Europa näher zu kommen und dann vor den verschlossenen Türen namens
Grenzsicherung stehengelassen werden? 300 Tote bei einem
islamistischen Attentat sind in der Wahrnehmung vieler leider eine
größere Katastrophe als 300 tote Afrikaner auf hoher See.
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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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