Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Olympischen Winterspielen

Carina Vogt saß in der Hocke, die Ski noch an
ihren Füßen. Ihre Teamkameradinnen eilten herbei, wollten sie
umarmen. Im Stehen. Doch die neue Olympiasiegerin im Skispringen
konnte und wollte sich nicht erheben. Sie war überwältigt von diesem
Moment und tat das, was man Rotz und Wasser heulen nennt. Carina Vogt
hatte ihn gespürt, den olympischen Geist.

Es ist überhaupt erstaunlich viel gut gegangen bisher bei den
Putin-Spielen. Beschwerden über die Unterbringung halten sich in
Grenzen und wurden bis jetzt auch nur von Journalisten vorgetragen.
Die Organisation passt, bisher waren alle Sportler pünktlich an ihren
Wettkampfstätten und bei den Siegerehrungen. Dee befürchteten
Terroranschläge sind ausgeblieben. Die politischen Demonstrationen
halten sich in Grenzen – nicht nur in Sotschi, nicht nur in Moskau,
auch in der westlichen Welt hat sich die Erregung über die Missstände
in Russland interessanterweise in den vorigen zehn Tagen drastisch
reduziert. Die Dopingkontrollen können ohne Behinderung durchgeführt
werden, Claudia Pechstein etwa musste schon neun Mal Blut
beziehungsweise Urin lassen.

Und die deutschen Athleten? Die stehen alles andere als schlecht
da. Zurzeit grüßen sie vom Spitzenplatz des Medaillenspiegels. Ob es
mit den anvisierten 30 Treppchenplätzen klappt, bleibt fraglich. Wie
bei den Sommerspielen ist auch im Winter die Zahl der Nationen, die
sich in die Bestenlisten eintragen, nicht geringer geworden. Dass man
mit mancher Einschätzung vorsichtig sein sollte, zeigt sich auch am
Fall der Biathleten. Die Deutsche Presseagentur hatte schon den
Abgesang getextet, als Eric Lesser sich Silber im Einzelrennen holte
und seinen Unmut über voreilige Urteile kundtat.

Im deutschen Team erfüllten die Arrivierten die in sie gesetzten
Erwartungen: Die Rodler rasten zu vier Mal Gold, da nutzt es auch
wenig, dass das Internationale Olympische Komitee in den vergangenen
Jahren diese Disziplin in anderen Ländern finanziell förderte; Maria
Höfl-Riesch hat bereits ihr Soll erfüllt, und Savchenko/Szolkowy
holten »nur« Bronze, lieferten aber auch große Emotionen.

Einen Grund zur Aufregung gab es allerdings doch. Das IOC zeigte
wenig Fingerspitzengefühl und verwies auf seine Statuten, als
norwegische Athleten mit Trauerflor antraten und so eines
verstorbenen Bruders einer Sportlerin und einer Kollegin gedachten.
Auf so eine Ermahnung wäre nicht mal die Fifa gekommen.

Aufregen müssen hätte sich eigentlich auch Carina Vogt. Als ihr
Gold überreicht wurde, stand Gian-Franco Kasper, Chef des
Internationalen Skiverbands, in der Nähe des Siegerpodestes. Der
hatte dem Frauen-Skisprung einst den olympischen Status mit der
Begründung verweigert, es würde Frauen »bei der Landung die
Gebärmutter zerfetzen«. Es ist eben so: Meist ist die Realität
weniger bizarr, als Horrorprognosen so genannter Experten vermuten
lassen.

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Andreas Kolesch
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