Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Paralympics

Mal ehrlich: Haben Sie in diesen Tagen die
Paralympischen Sommerspiele verfolgt? Eigentlich konnten Sie sich
diesem sportlichen Spektakel kaum entziehen. Schließlich haben die
Medien so viel und so ausführlich berichtet wie noch nie. Allein die
öffentlich-rechtlichen Fernsehsender übertrugen mehr als 65 Stunden
live im Hauptprogramm. Das ist zunächst einmal eine erfreuliche
Entwicklung. Es soll in Deutschland aber immer noch Menschen geben,
die nicht wissen, was die Paralympics sind. Nun soll sich einer
Studie im Auftrag der Telekom und des Deutschen
Behindertensportverbandes zufolge zwar mittlerweile mehr als jeder
Zweite (58 Prozent) dafür interessieren. Die TV-Quoten sagten etwas
anderes aus. Ein Schnitt von knapp neun Prozent Marktanteil sind eben
keine 58 Prozent. Und weit von den Zahlen entfernt, die Olympische
Spiele erzielen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sportliche
Leistungen von Menschen mit Beeinträchtigungen weniger wert und nicht
massenkompatibel sind. Und bis zu den Winterspielen in Sotschi 2014
droht wieder eine zweijährige mediale Leere. Geht es um Menschen mit
Handicaps, wabert hierzulande seit jeher ein Mitleidsaspekt mit – der
manchmal in Heuchelei gipfelt -, aber auch Unsicherheit und
Unwissenheit im Umgang miteinander. Dahingehend können wir uns von
sonst so unterkühlten Briten viel abschauen. Sie haben mit großer
Begeisterung und Hingabe gezeigt, dass Behinderte ein
selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sind. Es war ein
erfrischend unverkrampfter Umgang mit den Sportlern – ganz ohne
Barrieren in den Köpfen. In den Zeitungen rückte selbst der Fußball
auf die hinteren Seiten, während paralympische Sieger auf den
Titelseiten prangten. Die mangelnde Anerkennung in Deutschland zeigt
sich unter anderem bei den Prämien. Nun sind diese dank der
Bundesliga-Stiftung kurz vor Beginn erhöht worden. Aber die
finanzielle Anerkennung ist immer noch zu gering. Für Olympia-Gold
gibt es mindestens doppelt so viel Geld. Von (finanzieller)
Gleichbehandlung sind Behindertensportler noch weit entfernt. Dabei
trainieren sie mindestens genauso intensiv. Und selbst dafür ist
meist nie genug Geld da: Viele müssen Trainer, Ausrüstungen und
Physiotherapeuten selbst finanzieren. Holen sie hingegen Gold, suhlen
sich der Verband und die Nation im Erfolg. Gehen sie leer aus, haben
sie viel ausgegeben – mehr nicht. Grotesk. Die Paralympics haben so
eindrucksvoll wie noch nie gezeigt, dass auch Menschen mit Handicap
Spitzenleistungen bringen können und nicht weniger wert sind als die
Nichtbehinderten. Die Briten haben Sportlern gehuldigt, die ein
Handicap haben, aber trotzdem voller Begeisterung ihrer Leidenschaft
nachgehen. Millionen andere Behinderte können das nicht, sie wollen
einfach nur von der Gesellschaft akzeptiert und respektiert werden.
London hat gezeigt: Unvollkommenheit ist völlig normal.

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