Bisher läuft der Krach vergleichsweise
zivilisiert ab. Die Brüsseler Kommission mahnt, erinnert, rät und
weist hin, die Warschauer Regierung hört zu, registriert, greift auf,
weist zurück. Feinsinnige Diplomatie eben, auch wenn es um Handfestes
geht: einen Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze
europäischer Demokratien. Das Verfahren, das die Brüsseler
EU-Kommission gestern auf die nächste Stufe gehoben hat, soll Schärfe
signalisieren, ist aber kaum mehr als ein Papiertiger. Das war schon
bei seiner Erfindung 2014 klar.
Damals wollte man den autokratischen Premier von Ungarn in die
Schranken weisen. Das ging auch schon daneben, so wie es dieses Mal
bei viel heißer Luft bleiben wird. Dies ist kein Wunder: Die
Mitgliedstaaten werden der EU kein Instrument in die Hand geben,
unter dem sie am Ende selbst leiden würden. Dass Polen irgendwann mit
dem Entzug der Stimmrechte bestraft werden könnte, bleibt eine leere
Drohung. Neben Ungarn wird wohl auch Rumänien die
nationalkonservativen Freunde in Polen unterstützen und gegen ein
solches Vorgehen stimmen. Die Brüsseler Drohkulisse bräche in sich
zusammen.
Das mag denjenigen nicht befriedigen, der in die EU-Kommission
gerne eine mit der Macht einer echten Regierung ausgestattete
Institution sähe. Doch das ist sie nicht. Hinzu kommt, dass der
Katalog der Vorwürfe gegen Polen nur schwer als gravierende
Verletzung europäischer Werte zu vermitteln ist. Nicht nur in Ungarn
und Polen, sondern beispielsweise auch in Frankreich werden die
Spitzen öffentlich-rechtlicher Sender von der Politik besetzt. Um nur
ein Beispiel zu nennen. Die Eingriffe in die Unabhängigkeit des
Verfassungsgerichtes klingen gravierender als sie es – beispielsweise
im Vergleich zu Ungarn – sind. Dort hat sich Brüssel mit einigen
läppischen Umformulierungen der Gesetze zufrieden gegeben. Darauf
wird es in Warschau auch hinauslaufen. Die Kommission sollte nicht so
tun, als stehe Polen kurz vor der Machtübernahme rechtsgerichteter
Kräfte. Diese Gemeinschaft muss mit unliebsamen national
ausgerichteten Regierungen leben und dennoch versuchen, sie in Europa
einzubinden. Alles Weitere wird man jeweiligen Wählern überlassen
müssen.
Dennoch stehen weder die Brüsseler Kommission noch die EU-Familie
machtlos da, wenn eine Regierung glaubt, ihre Macht zum
undemokratischen Umbau eines Staates nutzen zu können. Die
öffentliche Brandmarkung einer Staatsführung als rechtsstaatlich
zweifelhaft ist eine schallende Ohrfeige. Das wird Warschau nicht nur
ein bisschen Ansehen, sondern vor allem politisches Gewicht kosten.
Das ist aber nicht, was Brüssel wirklich will. Dort fordert man
Gesetzeskorrekturen, die die Gewaltenteilung einer Demokratie
garantieren – nicht mehr und nicht weniger.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261