Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Frauenrechten in Indien

»Let it be« (Lass es sein) spielten 600
Gitarristen in der Teestadt Darjeeling als Zeichen der Solidarität
mit den Frauen in Indien. Junge Mädchen mit dummen Reden belästigen?
Lass es sein! Frauen etwa im vollbesetzten Bus heimlich betatschen?
Lass es sein! Sich gar mit Gewalt sexuelle Befriedigung verschaffen?
Lass es ein für alle Mal sein! Der Auftritt der Musiker ist nur eine
von unzähligen positiven Reaktionen auf die brutale Vergewaltigung
einer jungen Inderin und die Misshandlung ihres Freundes am 16.
Dezember in einem öffentlichen Bus in Delhi. Es scheint, als habe das
grausame Verbrechen die Bevölkerung auf dem Subkontinent
wachgerüttelt. Täglich fordern seitdem Hunderttausende das Ende eines
Systems, das Frauen – gleich in welcher Kaste oder Klasse – als
Menschen zweiter Klasse einstuft. Es beginnt damit, dass weibliche
Föten häufiger abgetrieben werden, und führt über Zwangsheiraten
sowie Benachteiligungen im Beruf und im Familienrecht bis zu der
Ermordung von Ehefrauen, mit der sich Ehemänner eine zweite Mitgift
sichern. Sexuelle Übergriffe führen in Südasien häufig nicht zur
Bestrafung der Täter, sondern diskriminieren die Opfer. Jüngstes
Beispiel ist die Vergewaltigung einer 15-Jährigen in Tangail in
Bangladesch durch vier Männer. Danach stellten sie noch ein Nacktfoto
des Opfers ins Internet. Statt sich mit der jungen Frau zu
solidarisieren, distanzierte sich das Dorf von ihr und der Mutter.
Nicht mal der Vater stand zu der Familie. In Asien und außerhalb wird
sexuelle Anmache gern als »Eve teasing« (etwa »frotzeln«)
verharmlost. In Wirklichkeit ist es Ausdruck eines männlichen
Überlegenheitsgefühls, für das es keine positive Begründung gibt. Ein
anderer Umgang der Geschlechter muss auch darauf verzichten. Indien
hat sich auf einen langen Weg gemacht. Dabei sind wirklich nicht alle
Äußerungen von Demonstranten und Politikern zielführend. Nicht wenige
glauben, dass sie mit möglichst markigen Worten und Forderungen nach
kurzem Prozess den Demonstranten am ehesten entgegenkommen. Am
absurdesten sind Äußerungen von Muslimen, in islamischen Ländern gebe
es »dank schneller Gerichtsverfahren und Hinrichtungen« das Problem
gar nicht. Schon ein Blick auf die Wirklichkeit etwa in Saudi
Arabien, wo eine Rekordzahl an Vergewaltigungen weiblicher
Hausangestellter aus anderen Ländern einfach ungestraft bleibt,
beweist das Gegenteil. Menschenrechtsverletzungen – und dazu zählt
die Todesstrafe – sind denkbar ungeeignet, um die Situation der
Frauen zu verbessern. Auch hier gilt: Let it be! Indien braucht
keinen kurzen Prozess, sondern eine nachhaltige Veränderung von
Verhaltensweisen und Gesetzen. Europa sollte den Weg hilfreich, aber
ohne Überheblichkeit begleiten. Die Massenvergewaltigungen von
Srebrenica, die an Grausamkeit kaum zu überbieten sind, liegen noch
nicht einmal 18 Jahre zurück.

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261

Weitere Informationen unter:
http://