Der Transport der elf Castoren mit Atommüll von
La Hague nach Gorleben hat zwölf Stunden länger gedauert und war drei
Millionen Euro teurer als 2008. Wer stolz darauf ist und das für
einen Erfolg hält, soll weiter träumen. Es geht nicht um die
Akzeptanz von Atomkraftwerken in Deutschland – die wurden schon in
den 1960er und 1970er Jahren von CDU und SPD eingeführt. Es geht
darum, den Abfall einer längst von uns allen aufgebrauchten
Stromproduktion anständig zu entsorgen. Tatsächlich hat es seit 1970,
als 100 000 Menschen in Hannover gegen Gorleben auf die Straße
gingen, schon größere Demonstrationen gegen die friedliche Nutzung
von Kernenergie gegeben. Auch die Katz-und-Maus-Spiele mit der
Polizei, die Respekt und nicht Hohn verdient, sind ein alter Hut. Wie
sich einzelne Exzesse gleichen: Ob Rechtsradikale, Hooligans hinterm
Stadion oder Linksradikale im Hamburger Schanzenviertel – aus Sicht
der Polizisten ist die Gefahr für Leib und Leben Teil eines perfiden
Kalküls. Immer geht es um das Ausreizen des rechtlich Möglichen –
bis zum Anschlag. Tatsächlich lassen Meinungsfreiheit und
Demonstrationsrecht hierzulande einiges zu, einschließlich des
gerichtlich verbrieften Anspruchs, von den Schienen getragen zu
werden, wenn ein Zug kommt. Zur Sachdebatte hat das gesamte
Wochenende nichts beigetragen. Trotz zahlloser TV-Interviews mit
Teilnehmern, die etwa mit dem Strahlenmessgerät in der Hand Angst
verbreiten und das Thema Klimaschutz ausnahmsweise ausblenden, kam
nur Aktion statt Argumentation über. Nicht gefragt sind zum Beispiel
Wissenschaftler, die seit 30 Jahren Gutachten über Gorleben
schreiben. Nicht eine dieser Expertisen auf höchstem fachlichen
Niveau kommt bis heute zu dem Schluss, dass Gorleben ungeeignet ist.
Wohl gibt es Flächen und Zeiträume, in denen Physiker und Geologen am
Forschen gehindert werden, aber die von allen als ungeprüfte
Behauptung in den Raum gestellte Gefahr ist nicht nachgewiesen. Es
ist wie im richtigen Leben: Wenn die Fakten zu hart sind, weicht man
gern aufs Formelle aus. Nebenschauplätze sind dann gefragt. Einst
Verantwortliche üben sich zudem im blitzschnellen Vergessen, vorneweg
die ehemaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin und Sigmar
Gabriel. Deren Argumentation befindet sich in der Zwickmühle. Sie
haben selbst Transportaufträge zu verantworten, können aber nach
Stuttgart 21 nicht mehr wie früher Baden-Württemberg als
Alternativstandort ins Gespräch bringen. Außerdem: Das schwarz-gelbe
Laufzeitplus führt zu nicht einem einzigen weiteren Castor-Transport
aus dem Ausland, denn die Wiederaufarbeitung wurde 2005 untersagt.
Man darf gespannt sein, ob sich Rot-Grün gegen Castor-Transporte
jetzt nach Russland und – logischer Schluss – für die Einlagerung im
Westen ausspricht.
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Andreas Kolesch
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