Wenn die Europäische Union es bisher öffentlich
an einer klaren Sprache gegenüber der Regierung in Athen fehlen ließ,
dann mit gutem Grund: Jede frühe laute Warnung vor einem
Staatsbankrott verunsichert natürlich die Geldgeber. Sie verteuert
die Kredite und erhöht damit die Sparanforderungen an Griechenland
sowie dessen Bedarf an Hilfsgeldern durch die Mitgliedsstaaten.
Gestern aber ist es nun doch gefallen, das Unwort »Umschuldung«. Der
Bundesfinanzminister hat es gesagt – und nun ebenfalls aus gutem
Grund. Denn je länger sich die griechische Tragödie hinzieht, umso
schwerer wird es für Wolfgang Schäuble, die Folgen vom deutschen
Staatshaushalt fernzuhalten. Umso schwerer wird es auch, die privaten
Geldgeber, die von den höheren Zinsen für Griechenland-Anleihen schon
profitierten, für das Risiko, das sie eingingen, auch bezahlen zu
lassen. Nicht zuletzt ist Schäubles Warnung auch im Sinne Athens.
Denn wenn das jetzige System so fortgeschrieben wird, dann gleicht
die Aufgabe für die griechische Politik einer Sisyphusarbeit. Jeder
hart erkämpfte Sparerfolg wird durch ein neues Loch oder eine neue
Aufgabe an anderer Stelle wieder zunichte gemacht. Zuletzt war es die
schrumpfende nationale Wirtschaft, die Griechenland an den Rand einer
Abwärtsspirale führte: 2010 ist das Inlandsprodukt um 4,5 Prozent
gesunken. Eine Umschuldung würde dazu führen, dass alle Beteiligten
wieder Land sehen können. Die Griechen haben eine lösbare Aufgabe,
und die Geldgeber kennen ihren Verlust. Dieser ist bei einer sanften
Umschuldung, wie sie Schäuble vorschlägt, immer noch um einiges
günstiger als bei einem »Hair-Cut«, bei dem ein großer Teil der
Schulden radikal auf Null gesetzt wird. Eine sanfte Umschuldung aber
will verhandelt werden. Das braucht Zeit – Zeit, die einfach
verstreicht, solange keiner Tacheles redet. Schäubles Alarmbrief
kommt zur rechten Zeit. Kann sein, dass seine Chefin dies anders
sieht. Die Bundeskanzlerin, die gern abwartet, bis sich die Probleme
von allein lösen oder bis sich zumindest die Gewichte so festgesetzt
haben, dass sie nur noch in eine Richtung geschoben werden können,
muss jetzt im deutschen und europäischen Interesse aktiv werden. Das
Loch im griechischen Eimer wird durch Nichtstun nicht gestopft.
Insofern richtet sich Schäubles Brief formal an die Finanzminister in
den anderen EU-Staaten, in Wirklichkeit aber genauso an Angela Merkel
und an die EU-Kommission. Die Einbindung der Banken und anderen
Geldgeber in eine Lösung des Griechenland-Problems stärkt sicher auf
den ersten Blick nicht die Gemeinschaftswährung. Auf der anderen
Seite könnte es auch den Spaß am Spekulieren mit anderen
Euro-Mitgliedsstaaten wie Portugal, Spanien oder Italien reduzieren.
Das immerhin wäre sogar ein angenehmer Nebeneffekt.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261