Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Haiti/Wahlen

Haiti wählt, Haiti quält. Der Katastrophenstaat
erspart seinen zehn Millionen Bürgern kaum eine Plage. Nicht die Wahl
am Sonntag, wohl aber die Cholera-Epidemie, die lange
Wirbelsturmsaison und 1,5 Millionen Obdachlose seit dem Erdbeben im
Januar haben das Land endgültig zu einem permanenten Notstandsgebiet
gemacht. Die 19 Präsidentschaftskandidaten versprechen Wiederaufbau,
Seuchenbekämpfung und kostenlose Schulen für alle. Damit ist ziemlich
genau beschrieben, was versäumt wurde und was, so steht zu
befürchten, noch lange auf sich warten lassen wird. Die Bewerber
verteilen Handzettel und kleine Plastikbeutel mit Wasser. Das Papier
bleibt liegen, die Tüten führen zu Raufereien. Erst kommt der Durst,
dann die Wahl. Auch Jacques Edouard Alexis Alexis, der 2008 nach
einer Hungerrevolte als Premierminister zurücktreten musste, traut
sich wieder unter das Volk. Sollte er gewinnen, was Kenner für
wahrscheinlich halten, würde sich nichts ändern. Das System des
scheidenden, nachweislich unfähigen Präsidenten René Préval könnte
weitermachen wie bisher. Nicht entscheidend ist, ob angesichts der
Cholera überhaupt gewählt werden soll, sondern, wie einem in Ansätzen
souveränen Staat von außen geholfen werden kann – selbst wenn das mit
sanfter Gewalt zu geschehen hätte. De facto haben die Vereinten
Nationen und zahllose Nichtregierungsorganisationen als deren Partner
das Heft des Handelns übernommen. Im Kampf gegen den Hunger und für
stabile Unterkünfte gelingt das in Maßen. Die Cholera können die
Nothelfer dagegen nicht aufhalten. Nach offiziellen Zahlen hat der
schwere Brech-Durchfall bis zum 20. November 1400 Menschen das Leben
gekostet, mindestens 60 000 sollen sich angesteckt haben.
Ausländische Experten schätzen, dass es bereits 200 000
Cholera-Kranke gibt. Den Höhepunkt der Epidemie taxieren sie auf 400
000 in drei Monaten. Die bittere Erkenntnis: Noch viele Menschen
werden erkranken und ohne Chance auf Behandlung sterben. Dabei
braucht es nur sauberes Wasser, Salze und Antibiotika – hierzulande
kein Problem, in Haiti eine Frage von Leben und Tod. Wer am Sonntag
Präsident wird ist weniger entscheiden, wohl aber, dass danach
staatliches Handeln beginnt. Erst wenn die Abwasserkanäle vom Müll
befreit sind und die Wasserversorgung einigermaßen klappt, wird der
Erreger zurückgedrängt. Lange kann die Weltgemeinschaft nicht mehr
warten, bis Haiti wieder auf eigenen Beinen steht. Millionenschwere
Hilfsgelder werden aus guten Gründen zurückgehaltenen. Sie drohen zu
versickern oder unterschlagen zu werden. Die internationale
Gemeinschaft sollte dem künftigen Präsidenten klare
Entwicklungsvorgaben gekoppelt an die Auszahlung von Hilfen machen.
Ja. das hat mit Bevormundung zutun, allerdings auch mit Fürsorge.

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Andreas Kolesch
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