Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Hiroshima

Was wäre, wenn es Hiroshima nie gegeben hätte?
Kaum ein Ereignis ruft diese Frage häufiger auf, als der erste Abwurf
einer Atombombe als ultimative Waffe in einem Krieg.

Von der weltweiten Friedensforschung bis zu Japans nationaler
Geschichtsschreibung wird der Frage nachgegangen, ob die Vernichtung
von Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 den Zweiten
Weltkrieg beendete. Denn: der Einsatz einer neuen Kriegswaffe könnte
auch nur die Fortsetzung des Bombenkriegs von Pearl Habour über
Dresden bis zum Abschluss des Manhattan-Projekts gewesen sein. Die
Frage lässt sich nicht klar beantworten, obwohl unsere Schulbücher
Hiroshima klar zum Endpunkt des Zweiten Weltkriegs erklären.
Politisch ist es angemessener, den Blick auf die mehr als
100 000 Todesopfer der Massenvernichtungswaffe zu lenken. Seit
70 Jahren wird der Menschenleben gedacht und zum Frieden gemahnt.

Wer jedoch auf den Gang der Geschichte blickt, findet vor allem
Ignoranz. Hiroshima war nicht das Ende, sondern der Ausgangspunkt
eines fassungslosen Wettrüstens – mindestens über 45 Jahre. Der für
alle Welt offenbare Blick auf die totale Zerstörung und auf die
Leiden der zunächst überlebenden Strahlenopfer konnte nicht
verhindern, dass es zur waffenstarrenden Rivalität zweier Blöcke kam,
die die ganze Welt in ein Gleichgewicht des Schreckens zwang.
Nachrüstung, Overkillkapazitäten und angebliche Raketenlücken
beherschten bis 1990 das Blockdenken, während alljährlich in
Hiroshima die Friedensglocke geschlagen wurde.

Gleichzeitung war es möglich, dass Forscher und Industrie
zumindest in den technikgläubigen 1960-er und 1970-er Jahren die
Masse der Menschen von der Beheherrschbarkeit der Kernkraft
überzeugten. Inzwischen gab es Abrüstung, fürchterliche
Reaktorkatastrophen, und womöglich bahnt sich eine schleichende
Rückkehr zum Kalten Krieg an. Auf jeden Fall steht die
Kernkraftnutzung vor einem Neuanfang sowohl in Japan als auch in
einer Reihe von anderen Ländern, die wahrlich nicht alle
Schurkenstaaten sind. Japans Premier Shinzo Abe werden sogar
Ambitionen zur atomaren Bewaffnung seines Landes nachgesagt.

Deutschland ist anders. Fast alle Atomwaffen sind von deutschem
Boden abgezogen, die letzten Kernkraftwerke haben ein ziemlich
verlässliches Abschaltdatum. Das würde uns eigentlich die moralische
Überlegenheit für eine weltweite Kamapagne gegen die militärische und
die vermeintlich friedliche Nutzung des Höllenfeuers geben. Aber
nichts dergleichen! Weder die Kanzlerin noch ihr Vize von der seit
Willy Brandt friedenspolitisch durchwirkten Sozialdemokratie lassen
von sich hören. Der massenhafte Tod in Hiroshima und Nagasaki war
nicht nur 1945 sinnlos, er hat bis heute weltweit kaum etwas bewirkt.

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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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