Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Kanzleramtsminister Pofalla

Mehr als eine Woche hat der Kanzleramtsminister
geschwiegen. Gestern bezog Ronald Pofalla (CDU) über die
»Bild«-Zeitung zum ersten Mal öffentlich Stellung. Das war genau acht
Tage zu spät. Pofalla hat sich selbst disqualifiziert, als er nach
der Sitzung der NRW-Landesgruppe am 26. September seinen
Parteikollegen Wolfgang Bosbach übelst beschimpfte. Nun ist die
Diskussion um Pofalla derart aus dem Ruder gelaufen, dass nur zwei
Möglichkeiten bleiben: Entweder die Bundeskanzlerin entlässt ihren
engen Vertrauten, oder er geht von sich aus. Mit dem Satz »Ich ärgere
mich selbst über das, was vorgefallen ist, und es tut mir
außerordentlich leid«, hat Pofalla gestern seinen Ausraster selbst
bestätigt. Und was sagt die Bundeskanzlerin zu dem Umgangston ihres
engen Vertrauten? Nichts. Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hinze (CDU)
versuchte zwar gestern, das Feuer um Pofalla auszutreten, aber seine
Löschversuche kommen zu spät und zaghaft. Pofalla hat sich das
falsche Thema und das falsche Opfer ausgesucht. Die Debatte um den
Euro-Rettungsschirm steckt voller Sprengstoff. Jede Äußerung dazu
kann in der nächsten Stunde von der Wirklichkeit überholt sein. Ohne
jede Häme können die Euro-Skeptiker im Parlament darauf hinweisen,
dass die Lage möglicherweise noch schlechter ist als die Stimmung.
Schneller, als der Bundesregierung lieb ist, könnte auch Italien um
Hilfe rufen. Dafür ist aber der bisherige Rettungsschirm viel zu
klein. Das befürchten auch die Abgeordneten aus der
Regierungskoalition, die zu weiteren Krediten und Bürgschaften
zugunsten notleidender Euro-Länder Nein sagen. Und nach der
Abstimmung ist vor der Abstimmung: Die Schulden- und Eurokrise ist
längst nicht ausgestanden. Der Bundestag wird noch mehr als einmal
Beschlüsse fassen müssen, für die der deutsche Steuerzahler einstehen
muss. Will der Kanzleramtsminister die Abweichler überzeugen oder
verbal niedermachen? Früheren Euro-Rettungsmaßnahmen hatte Wolfgang
Bosbach zugestimmt. Für ihn war jetzt die rote Linie erreicht, die er
nicht überschreiten konnte und wollte. Auch ein Kanzleramtsminister
muss die Gewissensentscheidungen der Abgeordneten respektieren. Das
schreibt ihm sogar das Grundgesetz vor. Dass sich Pofalla als Ziel
seiner Wutattacke ausgerechnet Bosbach ausgesucht hat, beweist, wie
sehr seine Nerven blank liegen. Es ist doch Bosbach, der sich zu
jeder Tages- und Nachtzeit vor die Mikrofone stellt und Schwarz-Gelb
auch dann noch verteidigt, wenn andere sich längst weggeduckt haben.
Ganz Parteisoldat, verzichtet Bosbach darauf, Öl ins Feuer zu gießen.
Für ihn sei Pofallas Ausraster nach der Entschuldigung erledigt – ein
honoriges Verhalten. Einen besseren Politikverkäufer als Bosbach kann
die Kanzlerin nicht vorweisen. Warum zeigt sie das nicht?

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