Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Muhammad Yunus

Am Ende stand der kleine Mann auf einem ganz
hohen Podest: Professor Muhammad Yunus erhielt 2006 als erster und
bisher einziger Ökonom den Friedensnobelpreis. Mit dem von ihm
erfundenen System der Mikrokredite verschaffte er in seinem
Heimatland Bangladesch und darüberhinaus vielen Armen die
Möglichkeit, sich aus ihrer Notlage zu befreien. Er machte sie
einfach zu Unternehmern. Selbst Bettler gewann er für seine Idee. Das
System funkionierte, weil er sich in Bangladesch weit überwiegend auf
Frauen stützte. Sie waren es gewohnt, für einen geringen Ertrag hart
zu arbeiten. Durch die Mikrokredite kamen sie plötzlich in eine
bessere Position gegenüber den Männern, die ihren Lohn gern für
Privatvergnügen und nicht zum Wohl der Familie einsetzten. Frauen
sind zudem empfänglich für Gruppendruck, der sofort einsetzte, wenn
sie mit ihren Zahlungen in Rückstand blieben. Der Friedensnobelpreis
brachte es mit sich, dass Yunus– Idee rasch in anderen
Entwicklungsländern und im Westen aufgegriffen wurde. Schließlich
haben Arme überall auf der Welt das Problem, an Kredit zu kommen. Mit
der Internationalisierung begannen die Probleme. Der Begriff
»Mikrokredit« sagt noch nichts über die Bedingungen, zu denen er
vergeben wird. Auch der Wucherer bietet Mikrokredite an – wenn auch
zu Zinsen, die halsabschneiderisch sind. 100 Prozent sind noch nicht
die Obergrenze. Im indischen Bundesstaat Andhra Pradesch wussten sich
im Herbst 2010 mehr als 50 Bauern nicht mehr zu helfen. Sie begingen
Selbstmord, um so wenigstens ihre Ehre zu retten. Auch wenn man Yunus
nicht für jeden Missbrauch seiner Idee verantwortlich machen kann, so
litt doch sein Ruf. Hinzu kam der Vorwurf der Korruption in der von
ihm gegründeten Grameen-Bank. Er wurde entkräftet, doch die Regierung
verfolgt die Angelegenheit weiter. Premierministerin Scheich Hasina,
die derzeit nach zweimaliger Unterbrechung zum dritten Mal an der
Spitze des Landes steht, fürchtet schon wieder um ihre Wiederwahl.
Die Legislaturperiode ist noch nicht zur Hälfte vorbei. Doch die
steigenden Lebensmittelpreise treiben die Menschen auf die Straße und
möglicherweise in die Arme der Opposition. Dort wähnt die
Premierministerin auch den einzigen Friedensnobelpreisträger ihres
Landes. Yunus hat in der Zeit der Militärherrschaft mit dem Gedanken
gespielt, eine eigene Partei zu gründen. Das ging zwar schief. Doch
Scheich Hasina hat ein langes Gedächtnis. Tatsächlich ist es mit
Yunus– Engagement für Demokratie und die zivilen Menschenrechte nicht
sehr weit her. Er schwieg zur Inhaftierung von Politikern genauso wie
zu Angriffen von Fundamentalisten auf Entwicklungshilfe-Projekte. Das
mag man ihm anlasten. Und wenn die Landesgesetze vorschreiben, dass
ein Bankvorstand nicht älter als 60 Jahren sei darf, dann soll Yunus
gehen. Aber in Ehren. Seine Idee darf nicht darunter leiden.

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