Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Nahost

Neues Jahr, alte Denkschablonen: Das ist die
traurige Realität, die John Kerry zwischen Jerusalem und Ramallah
erwartet. Der zehnte Besuch in der kurzen Amtszeit des
US-Außenministers wird von dem dramatisch verschlechterten
Gesundheitszustand des früheren israelischen Ministerpräsidenten
Ariel Sharon überschattet, der seit 2006 im Wachkoma liegt. Das
Schicksal des vom Falken zum Advokaten eines
israelisch-palästinensischen Ausgleichs gewandelten Likud-Politikers
steht seit langem als tragisches Symbol für den festgefahrenen
Friedensprozess.

Kerry dürfte das im Sinn gehabt haben, als er zu Beginn seiner
neuen Pendelmission davon sprach, die Führer Israels und der
Palästinenser seien an einem Punkt angelangt, an dem sie schwierige
Entscheidungen treffen müssten. Der Chefdiplomat ahnt, was passiert,
wenn seine Mission scheitert: Der Friedensprozess dürfte vorerst
mausetot sein. Die Verhandlungspartner vermitteln nicht den Eindruck,
als hätten sie es eilig. Im Gegenteil. Israels Ministerpräsident
Benjamin Netanjahu stellt den Friedenswillen seines
Verhandlungspartners in Frage, den er für jüngste Anschläge
mitverantwortlich macht. Umgekehrt empört sich Palästinenserführer
Mahmud Abbas über die Forderung der Israelis, nicht nur ihr
Existenzrecht anzuerkennen, sondern auch einen jüdischen Staat.

Optimisten deuten dies als taktisches Geplänkel, das ein Zeichen
für den bevorstehenden Durchbruch bei den Verhandlungen sei.
Realistisch betrachtet spricht aber vieles für die zynische
Grundhaltung erfahrener Nahostkenner, die Kerry für zu ambitioniert
halten. Der hatte sich im Sommer neun Monate Zeit gegeben, einen
tragfähigen Friedensvertrag zu erreichen. Nach Stand der Dinge käme
es einem Wunder gleich, wenn dies bis zum April glückte.

Der US-Außenminister scheint selbst nicht mehr damit zu rechnen.
Darauf deutet die neue Rhetorik von einem »Rahmenabkommen« hin. Eine
Vereinbarung, die Grundsätze festschreibt und Details für künftige
Verhandlungen offen lässt. Das wäre ein weitaus bescheideneres Ziel
als ein umfassender Ausgleich. Dabei sollte Israel mit Blick auf den
Iran ein Interesse daran haben, die Palästinenserfrage zu lösen.
Tragischerweise erkennt Netanjahu nicht die Möglichkeiten, die sich
in einem veränderten Nahen Osten eröffnen, in dem viele arabische
Nachbarn dieselbe Furcht vor den Hegemonialansprüchen eines
potentiell nuklear bewaffneten Iran teilen. Die Behandlung der
Palästinenser bleibt der Stachel im Fleisch, der einer Koalition von
der Türkei über Saudi-Arabien und den Golfstaaten bis hin nach
Ägypten entgegensteht.

Kerry erkennt diesen Zusammenhang. Das erklärt, warum er den
stärksten Hebel da ansetzt, wo er aus Sicht der USA die größte
Wirkung verspricht: bei Israelis und Palästinensern, die auf den
guten Willen der Supermacht angewiesen bleiben.

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