Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Obama in Afghanistan

US-Präsident Barack Obama betreibt Wahlkampf in
Afghanistan. Am Jahrestag von Osama bin Ladens Tod will er seine
Afghanistan-Politik rechtfertigen und anpreisen. Das soll die Wähler
beeindrucken, denn die meisten Amerikaner fordern inzwischen das Ende
des mehr als zehnjährigen Krieges. Obamas Siegesrhetorik richtet sich
somit primär an die amerikanischen Wähler. Weil die Außenpolitik im
US-Wahlkampf eine Nebenrolle spielt, werden die meisten Amerikaner
Obamas Propaganda akzeptieren: Bin Laden ist tot, der militärische
Rückzug steht bevor, die Taliban erscheinen geschwächt, und auch
El-Kaida ist in der Defensive. Das sieht zunächst nach einer
erfolgreichen Politik aus. Doch ist sie das wirklich? Obamas
Wahlkampfauftritt in Kabul vertuscht die Misserfolge der teuren,
fragwürdigen und wenig erfolgreichen Intervention: Anschläge, Terror
und Krieg gehen weiter. Die Taliban geben nicht auf. Die Anschläge
nach dem Präsidentenbesuch beweisen erneut, wie schlagkräftig der
Gegner bleibt. Auch die Korruption grassiert weiter. Das Regime in
Kabul missachtet Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Der Opiumhandel
blüht mehr denn je. Eine erfolgreiche Afghanistan-Politik sieht
anders aus. Zehn Jahre Krieg haben dem Land kaum geholfen: Die
Taliban wurden schon 2002 verjagt; was dann kam, war die ewige
Wiederholung des Gleichen. Die militärischen Aktionen haben die
Afghanen nicht befriedet. Obendrein haben die jüngsten Untaten des
US-Militärs – die Tötungen und Leichenschändungen – kein Wohlwollen
geschaffen. Der Versuch, die Herzen und Köpfe der Afghanen zu
gewinnen, ist gescheitert. Darüber verliert der US-Präsident
selbstverständlich kein Wort. Auch Obamas Partnerschaftsvertrag kann
das Misstrauen zwischen Washington und Kabul nicht vertuschen.
Afghanistan braucht Wirtschafts- und Entwicklungshilfe, den Aufbau
der Zivilgesellschaft, gute Sicherheitskräfte und Verständnis für die
Eigenarten dieses Kulturkreises. Die Stammesgesellschaft, die
Religion und Tradition der Afghanen unterscheiden sich stark von den
Werten des Westens. Wir müssen diese Menschen verstehen, akzeptieren
und ihnen weiterhin helfen. Eine Jahrtausende alte
Stammesgesellschaft lässt sich nicht mit Gewalt modernisieren – erst
recht nicht mit ausländischen Soldaten, die ihren »guten Krieg gegen
den Terror« missverstehen und das Chaos nur anheizen. Immerhin hat
die US-Regierung verstanden, dass der Rückzug unvermeidlich wird. Die
Zusage, das Land auch nach dem Abzug zu stabilisieren, ist sinnvoll
und notwenig – aber nur, wenn mehr Wirtschaftshilfe und ziviler
Aufbau geleistet werden. Denn ohne Arbeit, sauberes Wasser und
medizinische Versorgung, ohne Bildung und starke Sicherheitskräfte
wird Afghanistan wieder im Chaos versinken. Das wäre der Bankrott
einer Politik, die seit Jahren auf der Stelle tritt.

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