Aus Sicht der »Pegida«-Anhänger hat »das System«
funktioniert. Der vermeintlichen Allianz aus Politik und Medien ist
es gelungen, die Bewegung der »Patriotischen Europäer gegen die
Islamisierung des Abendlandes« zu spalten. Ihrem Weltbild nach hat es
die »Lügenpresse« geschafft, dem heterogenen Sammelbecken zwei
Gesichter zu verpassen. Zuerst trat »Pegida«-Organisatorin Kathrin
Oertel in Günther Jauchs Talkshow auf, dann gab sie mit
»Pegida«-Gründer Lutz Bachmann eine Pressekonferenz. Und wenn sich
eine Bewegung personalisieren lässt, dann fällt der Angriff nicht
mehr schwer. Schnell tauchten von Lutz Bachmann Bilder auf, die ihn
in Adolf-Hitler-Pose zeigen. Da bekommt Angela Merkels Satz »Folgen
Sie denen nicht« nachträglich durchaus noch seinen Sinn. Auch der
Vorstoß des SPD-Vorsitzenden, einen Weg im Umgang mit »Pegida« zu
finden, dient letztlich dem Ziel, die Proteste zu steuern. Von der
absoluten Kontaktverweigerung, ausgegeben von SPD-Generalsekretärin
Yasmin Fahimi, bleibt wenig – nach Sigmar Gabriels Besuch einer
Diskussion mit »Pegida«-Anhängern in Dresden. Der
Bundeswirtschaftsminister kann noch so oft betonen, als Privatperson
an der Runde teilgenommen zu haben: Der Privatmann Gabriel existiert
nicht, wenn es um »Pegida« geht. Er war dort als Chef seiner Partei.
Und vielleicht hat er ihr – so könnte man aus einem spontanen Reflex
heraus meinen – mit dem Besuch geschadet. Denn unter den bundesweit
Zehntausenden, die bislang gegen »Pegida« auf die Straße gegangen
sind, dürften sich in erheblicher Zahl SPD-Wähler befinden. Stößt
Gabriel der eigenen Klientel vor den Kopf, weil er das Gespräch mit
»Pegida«-Sympathisanten sucht? Der Vize-Kanzler hat ein Signal an die
Leute gesendet, die bis zum Rückzug des »Pegida«-Gründers Lutz
Bachmann nicht wussten, wem sie da nachlaufen. Die SPD handelt gewiss
nicht dialektisch, eher machtbewusst. Sigmar Gabriel hat genug
politischen und populistischen Instinkt, um zu wissen, dass die
meisten Sorgen der »Pegida«-Anhänger eben nicht unrealistischen
Hirngespinsten entspringen. Trotz Rente mit 63 und Mindestlohn klebt
die SPD bei 25 Prozent fest. Wenn der Vorsitzende dann nicht
versuchte, einer gesellschaftlichen Stimmung auf den Grund zu gehen,
wäre er der falsche Mann. Auch die Union ist sich in Sachen »Pegida«
nicht einig. CSU-Chef Horst Seehofer lehnt Kontakt ebenso ab wie
Justizminister Heiko Maas (SPD) und Außenminister Frank-Walter
Steinmeier (SPD). Auf der anderen Seite loben Verteidigungsministerin
Ursula von der Leyen (CDU) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU)
Sigmar Gabriel für seinen Besuch in Dresden. Was alle
Spitzenpolitiker wissen: »Pegida« bleibt. Nicht auf der Straße, aber
in den Köpfen.
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Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
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