Wladimir Putin schlägt zurück – gottlob nur mit
Worten, aber auch mit der ihm eigenen Kaltschnäuzigkeit und
Selbstgewissheit. Am Wochenende hatten sich so viele Demonstranten
wie noch nie an den Protesten gegen vermeintliche Wahlfälschungen und
das System Putin/Medwedew beteiligt. Von knapp 30 000 spricht die
Polizei, von 100 000 berichten Beobachter und die Veranstalter
behaupten, 120 000 Teilnehmer seien dabei gewesen. Wie auch immer: Es
waren noch mehr als bei der Großkundgebung am 10. Dezember. Und das
ist Putins wachsendes Problem. Seit fünf Jahren ist seine Absicht
bekannt. Im Wechselspiel mit Dimitri Medwedew will Putin nach einem
vierjährigen Intermezzo als Ministerpräsident eine von der Verfassung
nicht vorgesehenen dritte Amtszeit als Präsident erschleichen.
Allerdings: Je näher der Wahltermin 4. März rückt, um so heftiger
wird der Widerstand. Die gelenkte und eben nicht ganz lupenreine
Demokratie schafft es nicht, der Proteste Herr zu werden. Von außen
zeigt sich dabei eine bizarre Ungleichzeitigkeit. Eine junge
nachsowjetische Generation, die im Internet denken und handeln
gelernt hat, sieht sich einem Staat gegenüber, der unter Druck
geraten auf altbekannte kommunistische Kommandostrukturen
zurückfällt. Dabei tritt Putins andere Seite als einstiger
KGB-Offizier unverkennbar zu Tage. Noch hat der 35-jährige Alexej
Nawalny nicht ganz das Zeug zum Gesicht und Hoffnungsträger der
russischen Demokratiebewegung. An Selbstbewusstsein und Mut fehlt es
dem prominenten Internet-Rebellen nicht. Niemand schließt aus, dass
der Blogger dauerhaft zum Pfahl im Fleische Putins wird. Formal ist
die Zeit für jedwede Kandidatur gegen Putin abgelaufen. In gerade
noch zwei Monaten könnte kein Herausforderer ausreichend Popularität
in den Tiefen des Riesenreiches aufbauen. Damit ist Putins
Wiedereinzug in den Kreml unumstößlich. Aber gerade dieses
Ausgeliefertsein, das Gefühl, nichts mehr tun zu können, treibt die
Menschen auf die Straße. Viele fordern eine Verschiebung der Wahl,
allerdings ohne jede Chance. Schon kündigt der Herausforderer einen
Marsch der Million Ende Februar an. Ganz gleich, ob das hoch
gesteckte Ziel erreicht wird – die Rufe der Demonstranten von heute
werden auch die von morgen sein: »Wir haben genug von staatlicher
Bevormundung«, und »Wir lassen uns von Putin nicht mehr wie dumme
Hammel behandeln!« Längst trauen sich die Massen, »Russland ohne
Putin« öffentlich zu skandieren. Auch Kremlgegner Garri Kasparow
sowie andere Vertreter der zerstrittenen Oppositionsgruppen stimmen
in diesen Chor ein. Putins abkanzelnde Art, wie gestern an den Tag
gelegt, zeigt, dass er mit der Kritik von der Straße nicht umzugehen
weiß. Wie soll er auch? Die mitnichten schon die Mehrheit stellende
Protestbewegung will eine neue russische Revolution.
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