Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Ratko Mladic

Ratko Mladic sitzt hinter Gittern und wird vor
das UN-Kriegsverbrecher-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den
Haag gestellt. Auf diese Nachricht hat Europa seit 16 Jahren
gewartet. Nach dem schlimmsten Kriegsverbrechen seit dem Zweiten
Weltkrieg wird der Gerechtigkeit Genüge getan, und die Mütter von
Srebrenica werden vielleicht doch noch Frieden finden. Soweit die
völkerrechtliche Seite. Politisch ist mit der – in Wahrheit –
Auslieferung des Serbengenerals noch lange kein Ausgleich gesichert,
geschweige denn hergestellt. Mladic war seit 1995 zur Fahndung
ausgeschrieben, aber nicht auf der Flucht. Lange hat Belgrad
schützend seine Hand über den vermeintlichen Volkshelden gehalten.
Bis 2002 konnte er ungehindert im Belgrader Diplomatenviertel
Kostunjak leben. Bei einer Festnahme werde es Tote auf beiden Seiten
geben, pflegte der Pensionär gegenüber Nachbarn zu prahlen. Noch im
Juni 2009 zeigte das serbische Fernsehen Mladic entspannt am
Gartentisch sitzend. Keine Frage: Es gibt einen engen Zusammenhang
zwischen Belgrads Verlangen nach EU-Millionen und dem Fallenlassen
eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers. Schon allein deshalb kann und
darf es jetzt nicht einen schnellen EU-Beitritt geben. Die
Europäische Union müsste eigentlich klüger sein. Von Griechenland
betrogen, von Rumänien und Bulgarien bis heute in Sachen
Korruptionsbekämpfung vertröstet, könnte sich Brüssel den nächsten
Problemfall einhandeln. Das heißt nicht, die Tür für alle Seiten fest
verschlossen zu halten. Aber klar muss sein, dass dem
Beitrittskandidaten unmissverständlich klar gemacht werden muss,
welche Reformen als nächstes fällig sind. Der ehemals Hohe
Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, Christian
Schwarz-Schilling, wies gestern daraufhin, dass das Justizsystem
einer grundlegenden Reform bedarf. Die Auswahl von Richtern und
Staatsanwälten müsse im Sinne eines demokratischen Rechtsstaates
vorgenommen werden. Außerdem dürften das Kosovo und
Bosnien-Herzegowina nicht weiter behindert werden. Serbien müsse
gutnachbarliche Beziehungen schaffen. Schwarz-Schilling ist nicht der
einzige Kenner der Region, der Serbien für einen Störfaktor hält, der
den gesamten Raum des früheren Jugoslawiens unterschwellig
destabilisiert und nicht vorwärts kommen lässt. So gesehen war es
bloße Schönrednerei, als EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso
gestern prompt von einem »guten Signal in Richtung EU und Serbiens
Nachbarn« sprach. Serben-Präsident Boris Tadic will außenpolitisch
punkten, um im kommenden Frühjahr wiedergewählt zu werden. Nicht mehr
und nicht weniger. Niemand garantiert die nachhaltige Läuterung eines
Systems, das Massenmörder lange duldet und vermeintliche Volkshelden
verkauft, wenn deren Preis aufgrund fortgeschrittenen Alters zu
verfallen droht.

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