Die SPD wird Thilo Sarrazin nicht los. Nun ist
auch das zweite Parteiausschlussverfahren in eineinhalb Jahren sang-
und klanglos gescheitert. Alle vier Kläger zogen ihre Anträge zurück
– ein Offenbarungseid für die SPD. Folgerichtig rumort es in der
Partei, heute steht eine Sondersitzung des Berliner Landesvorstands
an. Dabei wird man wortreich zu erklären versuchen, was nicht zu
erklären ist. Schließlich folgte das Verhalten der Parteigremien am
Gründonnerstag nicht etwa der durchaus vertretbaren Ansicht, dass
eine Volkspartei Spannungen auszuhalten habe, wie sie durch Sarrazins
Thesen ausgelöst wurden. Nein, der SPD ging es ausschließlich darum,
ein für sie unpopuläres Thema abzuräumen. Das sollte möglichst
heimlich, still und leise passieren. Dafür spricht nicht nur der
sorgsam gewählte Termin kurz vor Ostern. Durch die Ferien und die
eingeschränkte Erscheinungsweise der Tageszeitungen konnte man auf
ein geringeres öffentliches Interesse hoffen. Auch das
Schweigegelübde, das Generalsekretärin Andrea Nahles allen
Prozessbeteiligten auferlegt hat, lässt sich so interpretieren. Am
deutlichsten aber wurde Frank-Walter Steinmeier. »Ich bin froh, dass
der SPD ein jahrelanges Verfahren durch alle Instanzen erspart
bleibt«, sagte der Fraktionsvorsitzende in entwaffnender Offenheit.
Weil nun aber die Basis rebelliert, geht der schöne Plan nicht auf.
Der Flurschaden ist schon jetzt gewaltig. Vor allem Parteichef Sigmar
Gabriel steht als blamiert da. Immerhin ist es noch keine neun Monate
her, dass er den damaligen Bundesbank-Vorstand und früheren Berliner
Finanzsenator zur unerwünschten Person erklärte. Gabriel hatte
Sarrazin gar als »Hobby-Darwin« bezeichnet, der »den Boden für die
Hassprediger bereitet«. Nun darf sich dieser Sarrazin als Sieger auf
ganzer Linie fühlen. Erst recht, weil seine Erklärung, er habe weder
Migranten diskriminieren noch sozialdemokratische Grundsätze
verletzen wollen, wachsweich ausgefallen ist. Sie taugt weder als
Entschuldigung geschweige denn als glaubhafte Distanzierung von
jedwedem Sozialdarwinismus. Derart gestärkt, wird Sarrazin weiter mit
seinem Bestseller »Deutschland schafft sich ab« durch die
Buchhandlungen und Stadthallen der Republik ziehen. Er wird weiter
seine zahlreichen Anhänger um sich scharen, und die SPD ist endgültig
zum Zusehen verdammt. Es sei denn, sie will sich komplett lächerlich
machen. Dabei geht es um nicht weniger als die Diskursfähigkeit der
SPD. Hat sie vor den gleichsam populären wie populistischen Thesen
Sarrazins kapituliert, oder kalkuliert sie gar insgeheim mit der
politischen Rendite, die Sarrazin als einer der Ihren noch reinholen
könnte? Beides wäre schlimm. Am schlimmsten aber ist, dass
Deutschland weiter auf eine aufrichtige Debatte über die Erfolge,
aber eben auch über die Fehler der Integration warten muss. Dabei
wäre gerade diese Auseinandersetzung bitter nötig. Die SPD hat mal
wieder die Chance verpasst, ein wichtiges The
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