Syrien ist nicht Libyen. Muammar al-Gaddafi war
und ist ein simpler gewalttätiger Tyrann. Wenn der Kopf fällt, fällt
das Regime. In Damaskus sind die Verhältnisse komplizierter. Hafiz al
Assad, der Vater des jetzigen Diktators Baschar al-Assad, hatte über
die Jahre ein System von Geheimdiensten aufgebaut, deren Kompetenzen
sich überlappten, so dass sie sich vor lauter Misstrauen gegenseitig
kontrollierten – und Assad über alles Bescheid wusste. Sein Sohn hat
das System noch verfeinert und außer einigen zusätzlichen
Geheimdiensten auch Blockwarte und Spitzel installiert. Experten
schätzen, dass auf 15 Bürger ein Spitzel kommt. Bei so einem
verästelten System ist es praktisch unmöglich, dass Intrigen oder
Verschwörungen geheim bleiben. Der lange Arm der Diktatur reicht bis
in die letzten Winkel des Landes. So ein System ist nur durch Druck
von außen zu stürzen. Aber was schon im Fall Libyen nicht wirklich
funktioniert, wird im Fall Syrien erst recht nicht gelingen. Der
inneren Verästelung entspricht ein komplexes außenpolitisches
Bündnissystem. Stabil ist die Achse mit Teheran. Die iranische
Diktatur hilft auch jetzt konkret mit Unterdrückungsexperten.
Gefängnisse und Folterkammern sind überfüllt. Ständige Kontrollen in
den Häusern und Wohnungen üben permanenten Terror aus. So wurde auch
die grüne Revolution in Iran unterdrückt. Außerdem: Assad unterhält
geheime Kontakte zu den arabischen Staaten, zu den USA, zu
Frankreich, zu Großbritannien, zu Israel und offene zu Russland und
China. Selbst wenn die Westmächte in der UNO sich auf eine Resolution
gegen die menschenverachtende Diktatur einigen könnten, was
keineswegs sicher ist, Moskau und Peking würden jeden Versuch
vereiteln, das Regime Assad militärisch unter Druck setzen zu wollen.
Ganz abgesehen davon, dass weder die Europäer noch die Amerikaner
heute über ausreichend Mittel verfügen, um nach Libyen, Afghanistan
und an anderen Orten dieser explosiven Welt eine neue Front zu
eröffnen. Die einzige Regionalmacht, die dazu in der Lage wäre, ist
Israel. Die israelische Führung aber denkt nicht daran, in das
syrische Wespennest zu stechen und Gefahr zu laufen, dass nach der
zwar brutalen aber berechenbaren Diktatur Assad ein islamistisches
Regime eine ebenso brutale aber unberechenbare Herrschaft ausübt. So
ist das syrische Volk auf sich allein angewiesen. Da der Widerstand
noch nicht einmal organisiert ist, weiß man auch nicht, wen man mit
Waffen oder Geld unterstützen könnte. Die Erkenntnis ist grausam: Die
Welt wird weiter zuschauen, wie eine erbarmungslose Diktatur ihr Volk
niederkartätscht und allmählich wieder Friedhofsruhe einkehrt in
Syrien. Die einzige Hoffnung ist, dass ein Funke Menschlichkeit dazu
führt, dass Teile der Armee und des Sicherheitsapparates nicht weiter
auf das Volk schießen wollen, sich abspalten und zu den verzweifelt
nach Freiheit rufenden Massen überlaufen. Das ist bisher nur
vereinzelt der Fall, noch viel zu wenig, um das Regime des Todes zu
gefährden.
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Andreas Kolesch
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