Krieg hat seine eigene Logik; ein Bürgerkrieg in
Nahost erst recht. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass es
nicht im Interesse des syrischen Diktators Assad liegt, Chemiewaffen
einzusetzen. Seine Armee rückt vor, die Rebellen sind unter sich
zerstritten. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Assad wieder das
ganze Land kontrolliert. Außerdem: Der Einsatz dieser Waffen ist
eine rote Linie, die nach Worten von US-Präsident Barack Obama ein
Eingreifen des Westens erforderlich machen würde. Erst recht, wenn es
dabei so viele Tote und Verletzte gab wie jetzt im Vorort von
Damaskus. Aber so denken Strategen an den Militärschulen in Europa
und Amerika und in den Kanzleien der Ministerien. Assads Kalkül
könnte anders aussehen. Der letzte Trumpf der Rebellen ist die
Hoffnung auf den Westen. Die rote Linie zu überschreiten und Obama
als zahnlosen Tiger vorzuführen, müsste die Aufständischen vollends
entmutigen. Zudem entspräche der Einsatz chemischer Waffen der
Eskalationsstrategie des Despoten von Damaskus. Zuerst Artillerie,
dann Panzer, später Bomben und Raketen, schließlich Scud-Raketen und
– erstmals schon 2012 – der Chemiewaffen-Einsatz. Diese graduelle
Eskalation erlaubt dem Regime, den Gegnern im In- und Ausland zu
zeigen, dass man in der Kriegsführung steigerungsfähig ist und auch
keine Angst vor ausländischen Interventionen hat. Beide Logiken sind
plausibel. Möglich und menschenverachtend konsequent wäre auch, dass
die Rebellen Chemiewaffen eingesetzt haben – in der Hoffnung, den
Westen zum Eingreifen zu bewegen und so die Situation zu ihren
Gunsten zu wenden oder zumindest eine Flugverbotszone, also einen
sicheren Zufluchtsraum zu gewinnen, von dem sie ihre Operationen
starten könnten. Die alte Frage – wem nutzt es? – ist nicht eindeutig
zu beantworten. Ebenso offen bleibt die Frage: Soll der Westen
eingreifen oder nicht? Wie bei den nachgewiesenen chemischen
Angriffen zuvor verlegt sich Washington aufs Prüfen. Damit gibt Obama
dem syrischen Despoten noch eine Gelegenheit, die Hilflosigkeit der
USA zu demonstrieren. Man braucht nur die Einreise der UN-Prüfer zu
verweigern, um so die internationale Diskussion auf eine Schiene des
Zweifelns zu lenken. Assad weiß, dass im UNO-Sicherheitsrat kein
Mandat für ein Eingreifen zu holen ist. Das wird Russland verhindern.
Ein Eingreifen mit Bodentruppen gilt in den USA als unpopulär. Schon
das Versprechen Obamas, Waffen an die Rebellen zu liefern, verlief im
Sande. Nach seiner Ankündigung vor vor zwei Monaten ist keine Patrone
angekommen. Man kann es drehen und wenden wie man will: Die syrische
Tragödie hat im Moment keine Lösung. Der Krieg wird weiter mit
grausamster Härte geführt werden. Der Westen sollte wenigstens so
ehrlich sein und seine Hilflosigkeit eingestehen. Die Kolonialzeiten
sind vorbei und der islamische Krisengürtel muss eigene Wege zum
Frieden finden.
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