Die demokratische Revolte in Tunesien zieht
Kreise. Der Protest hat inzwischen Ägypten, Algerien und den Jemen
erreicht. Die autoritären Führer der arabischen Welt fürchten um ihre
Macht. Internet und Fernsehen verbreiten den »demokratischen
Frühling« und wecken Hoffnung auf einen Domino-Effekt des tunesischen
Aufstands. Der massive Protest der Ägypter richtet sich gegen den
autoritären und ungeliebten Präsidenten Mubarak, dessen Macht sich
auf Militär und Geheimdienste stützt. In Ägypten grassieren Armut,
Arbeitslosigkeit und Unterdrückung; die Presse- und Meinungsfreiheit
wird missachtet, die Regierung ist unfähig und korrupt. Der Ruf »Geh,
Mubarak, Dein Flugzeug wartet auf Dich« enthüllt die Wut und
Verzweiflung der Menschen, ihr Sturm auf das Außenministerium zeigt
ihre Sehnsucht nach einer demokratischen, integren und effizienten
Regierung. Der Domino-Effekt bedroht nun auch die anderen arabischen
Despoten: In Algerien, Syrien, Saudi-Arabien, Libyen oder im Jemen
herrschen tyrannische Regime, die Freiheit und Demokratie bekämpfen,
Frauenrechte unterdrücken, Wahlen manipulieren, Oppositionelle
inhaftieren und die Korruption ausufern lassen. Der Sturz des
tunesischen Herrschers Ben Ali macht Schule. Die arabischen Staaten
stehen vor einer demokratischen Zeitenwende. In Algerien ist die Lage
besonders prekär. Auch hier leidet das Volk unter Arbeitslosigkeit
und Unterdrückung. Da Algerien jedoch eine relativ großzügige
Pressefreiheit kennt, hielt sich der Protest bisher in Grenzen.
Saudi-Arabien ist besonders undemokratisch: Frauenrechte,
Menschenrechte, Pressefreiheit und Mitbestimmung gelten dort wenig.
Jede Opposition wird brutal unterdrückt. Doch wie verhält sich der
Westen angesichts der jüngsten Umbrüche? Verfolgt die EU eine
Strategie der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit? Leider hat die EU die
Missachtung der Menschenrechte in den autoritären arabischen Staaten
bisher weitgehend ignoriert. Die Europäer brauchen Tunesien, Algerien
und Libyen als Handelspartner und Lieferanten von Erdgas und Öl. Die
Forderung nach Menschenrechten würde die autoritären »Partner«
verärgern. Das ist harte europäische Realpolitik. Immerhin
unterstützen die USA den Ruf der Ägypter nach Freiheit.
Außenministerin Clinton fordert ökonomische, politische und soziale
Reformen. Das ist ein wichtiges Wort zur rechten Zeit, denn die
politischen Werte des Westens stehen auf dem Spiel. Wer die Freiheit
missachtet und nur eigennützig handelt, stellt die Glaubwürdigkeit
dieser Werte in Frage und erweist sich als Heuchler. Auch darf die
Angst vor dem Islamismus die EU nicht zur Passivität verleiten. Sonst
fiele es den Islamisten leicht, Europa Scheinheiligkeit vorzuwerfen
und die EU als egoistische Kolonialmacht zu diffamieren.
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Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
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