Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Atomausstieg und den Plänen der Umweltverbände BUND und Greenpeace

Wer ist schneller? Im Rennen um den möglichst
kurzfristigen Ausstieg aus der Kernenergie unterbieten sich Parteien
und Öko-Aktivisten gegenseitig. Vor der Laufzeitverlängerung bis 2032
hatte Rot-Grün schon einmal das Zieldatum 2022 gesetzt. Angela Merkel
setzt seit Fukushima auf 2020. Jetzt stapeln Greenpeace mit 2015 und
BUND mit 2014 noch tiefer. Seit gestern liegen die zwei Konzepte der
beiden Umweltverbände vor. Wie der bislang für unmöglich, unbezahlbar
und politisch nicht durchsetzbar gehaltene Schnellausstieg machbar
sein soll, lässt sich dort haarklein nachlesen. Im Kern wird
technisch mutig, politisch blauäugig und wirtschaftlich riskant
argumentiert. Die Pläne sind am grünen Tisch entworfen. Ob sie den
Stresstest Realität bestehen, darf bezweifelt werden. Dennoch können
beide Konzepte nicht in Bausch und Bogen verworfen werden.
Umweltverbände sind zu allererst Lobby-Gruppen, die politischen Druck
aufbauen. Im Gegensatz zur Regierung, muss Greenpeace auch nicht
einpreisen, dass Großprojekte grundsätzlich länger dauern als die
rein technische Bauzeit bemessen ist. Unausgesprochen basieren beide
Alternativkonzepte auf der Annahme, dass Merkels Sechs-Punkte-Plan
zur Verkürzung des Planungsrechts und Beschneidung bisheriger
Klagemöglichkeiten knallhart greift. Auch kennen die
Umwelt-Aktivisten keine Finanzprobleme. Mehrere 100 Milliarden Euro
aufzubringen, um in 20 oder 30 Jahren beim Energieeinkauf satt zu
sparen: Diese Rechnung erinnert stark an Nordrhein-Westfalens
vorsorgende Sozialpolitik und griechische Finanzarithmetik. Was
scheren BUND und Greenpeace Merkels Geldsorgen? Mehr noch. 2025 darf
kein einziges Auto mehr als 3 Liter schlucken, alle neuen
Hochspannungsleitungen werden nach den Wunschvorstellungen der
Schnellaussteiger grundsätzlich vergraben – koste es, was es wolle –
und niemand mault, wenn vereinzelt der Strom ausfällt. Überzeugend
sind neben vielen anderen intelligenten Ideen Hinweise auf
freiwerdende Leitungskapazitäten, nachdem Atommeiler vom Netz
genommen sind. An deren Standorten sollen übrigens die neuen
Gaskraftwerke stehen – und fernab der großen Zentren Fernwärme
anbieten. Die Vorschläge zur noch stärkeren Subventionierung von
privater Wärmedämmung und Heizungsrenovierung sind zu begrüßen, vor
allem aber teuer. Die große Frage bleibt, ob die Deutschen auch noch
Jahrzehnte nach dem Fukushima-Schock deutschen Sonderweg aus den
klassischen Energien festhalten. Derzeit ist die Bereitschaft zum
Tragen angeblich nur geringfügig höherer Kosten groß. Aber das war
kurz nach dem Fall der Mauer 1990 auch so. Als die Kosten der
Wiedervereinigung dann per Solidaritätszuschlag umgelegt wurden, war
die Klage groß.

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