Angela Merkel steht im Zenit ihrer Macht.
Nachdem sie den einzigen Stolperstein, die Forderung nach dem Ende
der Kalten Progression, elegant aus dem Weg geschafft hatte, trat sie
gestern vollkommen problemfrei ans Rednerpult in Köln. Mehr als die
erreichten gut 96 Prozent der Stimmen kann sie bei einer
Vorsitzendenwahl nicht wollen. Weder Konrad Adenauers tatsächlich
zweimal erreichtes Traumergebnis von exakt 100 Prozent noch die in
der DDR vorab festgelegten 99,9 Prozent bei Wahlen jeglicher Art
passen in die Zeit. Was aber tun, wenn die Zustimmung nicht mehr
steigerbar ist, wenn die Beschäftigung auf einem Höchststand liegt
und die Finanzen nach 46 Jahren erstmals wieder eine schwarze Null
ziert? Nach sechs Jahren Nettolohnsteigerungen in Folge, bei der
niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit in Europa und Jobs auch wieder für
Ältere gilt es höllisch aufzupassen. Das Land und auch die größte
Volkspartei darf sich nicht auf dem Erreichten ausruhen, neue Ziele
müssen gesteckt werden – und der Druck zum Handeln muss unvermindert
hochgehalten werden. Genau darum ging es Merkel gestern in ihrer
programmatischen Rede, die viel auf Inhalt, wenig auf Selbstlob und
ganz stark auf die Motivation der eigenen Truppen setzte. Merkel hat
Recht: Das Erreichte kann schneller verspielt sein, als manche
glauben. Vor allem sind die nächsten Bundestagswahlen noch weit
entfernt, und bis 2017 kann sich Rot-Rot-Grün immer mehr zum
Normalfall entwickeln, die FDP aber kaum an neuem Profil
dazugewinnen. Bemerkenswert: Die CDU-Chefin fand an dieser Stelle ein
paar nette Worte für Schwarz-Grün in Hessen und riet, die Liberalen
als die natürlichen Verbündeten der Union nicht zu unterschätzen. In
drei Arbeitsgruppen hat die CDU gestern einen Neustart in die
inhaltliche Arbeit vorgenommen. Tatsächlich muss die Digitalisierung
den Industriestandort Deutschland noch tiefer durchdringen als
bisher. Der hohe Beschäftigungsgrad kann nur gehalten werden, wenn
Deutschland wirtschaftlich vorne bleibt. Die CDU will versuchen,
sowohl die neuen Chancen mit Industrie 4.0 und Big Data zu nutzen,
zugleich aber »die Würde des Menschen erhalten«, wie Merkel ihrer
Partei mit auf den Weg gibt. Auch die demographische Herausforderung
geht weiter. Und das bedeutet nicht nur Mütter- und Flexirente,
sondern auch neue Wachstumsmöglichkeiten im Bereich der Pflege und
Betreuung. Schließlich will Merkel auch Wettbewerbs- und
Investitionsfähigkeit dieser Volkswirtschaft hoch halten. Die
Vorsitzende hat sehr ausführlich über diese Themen gesprochen, der
Beifall zwischendurch blieb dennoch mau. Den zehnminütigen
Schlussbeifall erntete Merkel nicht wegen dieser Rede, sondern für
ihre Gesamtleistung. Mit Merkel ist die CDU alles, ohne sie –
zumindest nach außen – fast nichts.
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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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