Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum EU-Gipfel in Brüssel

Bei der Fußball-EM spielt Deutschland heute im
Halbfinale gegen Italien – in Brüssel kämpft Angela Merkel gleich
gegen ganz Europa. Die Bundeskanzlerin braucht beim EU-Gipfel eine
sehr gute Verteidigung. Denn ihre vier Gegner um Ratspräsident Herman
Van Rompuy haben eine Großoffensive angekündigt. Hält Merkels Deckung
nicht, droht Deutschland eine Katastrophe. Herbeigeführt werden
könnte diese insbesondere durch die Einführung von gemeinsamen
Anleihen aller EU-Staaten – kurz Eurobonds. Für diese Anleihen
müssten alle Staaten auch gemeinsam haften. Klingt auf den ersten
Blick prima. Das bedeutet aber auch: Notfalls haftet das letzte Land,
das noch zahlungsfähig ist, allein für die gesamte Summe. Und das
könnte fatale Folgen haben, weil Deutschland innerhalb der EU trotz
seiner mehr als zwei Billionen Euro Schulden so finanz- und
wirtschaftsstark wie kein anderes Land ist. Vereinfacht ausgedrückt:
Ist ein Staat pleite, muss die Bundesrepublik für dessen
Verbindlichkeiten aufkommen. Deutschland würde zum Zahlmeister für
große Teile des hochverschuldeten Europas. Völlig zu Recht hat
Bundeskanzlerin Angela Merkel deshalb betont, dass eine
Vergemeinschaftung der europäischen Schulden mit ihr nicht zu machen
sei. Die Kanzlerin war überraschend deutlich und direkt wie noch nie:
Solange ich lebe, wird es keine Eurobonds geben. Vor dem EU-Gipfel
zeichnet sich mehr und mehr ab: Europa driftet auseinander. Es
entsteht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft – hier die Gläubigerstaaten,
da die Schuldnerländer. Spanien, Irland, Portugal, Griechenland und
nun auch noch Zypern drängen sich unter den Euro-Rettungsschirm. Aber
dort wird es langsam eng. Und auch Italien wackelt bereits gehörig.
Der fehlende Reformwille vieler Länder kommt noch erschwerend hinzu.
Da liegt es nahe, sich beim reichsten Mitglied zu bedienen. Aber
Deutschlands Belastungsgrenze ist irgendwann einmal erreicht. Ein
weiteres Problem ist, dass die Nachteile der Pleiteländer durch die
aktuelle Strafpolitik nur noch größer werden. Italien zum Beispiel
muss jedes Jahr eine Summe in Höhe von sechs Prozent seiner
Wirtschaftsleistung aufwenden, nur um in eine ähnliche
Ausgangsposition wie Deutschland zu gelangen. Das liegt daran, dass
das Land so viel mehr Zinsen für seine Staatsschulden zahlen muss.
Deshalb ist es fast unmöglich, jemals wieder auf die Beine zu kommen.
Ohne die Grundvoraussetzungen Wachstum, Sparkurs und
Reformbereitschaft wird es also nicht gehen. Angela Merkel steht ein
harter Gipfel bevor. Ihr muss es gelingen die Viererkette um
Ratspräsident Van Rompuy zu knacken. Es wird spannend: Erst schauen
die Staats- und Regierungschefs am Abend den Fußball-Klassiker –
danach geht es am Euro-Verhandlungstisch richtig zur Sache.
Hoffentlich hat Angela Merkel zwei Mal Grund zum Jubeln.

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