Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Fall Drygalla

Einer jungen Sportlerin ist Unrecht getan
worden. Nadja Drygalla war die »Nazi-Braut«, das »Neonazi-Mädchen«.
Man schrie und schrieb: »Skandal«, vermutete ein blindes, rechtes
Auge bei deutschen Sportverbänden. Komprimiert man die
veröffentlichte Meinung der vergangenen Tage, war der Eindruck, der
Deutsche Olympische Sportbund ist von der NPD unterwandert. Zu diesen
»Urteilen« kam man, ohne mit der Ruderin gesprochen zu haben. Und man
schenkte auch denen kein Gehör, die sagten: Nadja Drygalla ist keine
Rechte. Stimmt das, was die junge Frau am Sonntag gegenüber der
Deutschen Presseagentur gesagt hat, dann ist es in der Tat ein
Skandal. Der besteht jedoch darin, wie Medien und Entscheidungsträger
in diesem Land mit ihr umgegangen sind. Denn sie erklärte,
rechtsextremes Gedankengut verabscheue sie, ihr Freund soll auch
ihretwegen aus der NPD ausgetreten sein, das gesponserte Auto habe er
ohne ihr Wissen genutzt, um zu einer Demonstration zu fahren. Das
Thema ist damit aber noch nicht durch. Die Vorverurteiler setzen noch
eins drauf, fordern ein »Demokratiebekenntnis« von Sportlern, da
viele von ihnen ja auch mit Steuermitteln gefördert werden, sagen
aber auch, dass habe nichts mit dem »Fall Drygalla« zu tun. Na klar!
Menschen, die so etwas vorschlagen, müssen ein schlechtes Bild von
der Wehrhaftigkeit der deutschen Demokratie haben, 67 Jahre nach dem
Ende des Zweiten Weltkrieges und 23 Jahre nach dem Fall der Mauer.
Eigentlich hoffte man, dass mit dem Ende des Kalten Krieges
Gesinnungsschnüffelei ein Ende habe. Und, nicht ganz unwichtig, ab
wann ist eine politische Einstellung extremistisch? Wer beurteilt
das? Gelten die Demokratiebekenntnisse nur für Athleten? Oder auch
für Lebenspartner, Familie, engste Freunde? Ist es stimmig, dass
möglicherweise Sportler nicht zu internationalen Wettbewerben
mitfahren dürfen, weil sie Parteien nahe stehen, die vom
Verfassungsschutz beobachtet werden, aber dennoch in Parlamenten
vertreten sind? Extreme rechte und linke Parteien werden von
Steuergeldern finanziert, Sportler aber nicht? In Deutschland gibt es
einen relativ stabilen Prozentsatz von Menschen, die extremste
politische Vorstellungen haben. Er liegt bei etwa zehn Prozent. Das
ist im Vergleich mit anderen europäischen Ländern wenig. Aber
natürlich ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte die
Beachtung vor allem rechter Umtriebe größer. Sich deshalb aber an
einer jungen Frau auszutoben, ist unredlich. Wenn man sich mit
Faschisten im Sport hätte beschäftigen wollen, hätte man das
spätestens seit 1966 tun können. Da wurde Juan Antonio Samaranch
Mitglied des IOC. Er war ein Günstling Francisco Francos und von 1980
bis 2001 oberster Olympier. Das war ein Skandal.

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