Fliegen funktioniert auf einer Vertrauensbasis.
Passagiere steigen in dem Bewusstsein in ein Flugzeug, dass auch der
Pilot an seinem Leben hängt und sicher auf der Erde landen möchte.
Das wollte der Co-Pilot auf dem Germanwings-Flug 4U9525 von Barcelona
nach Düsseldorf am Dienstag offensichtlich nicht.
Nicht nur für die Lufthansa und ihre Konzerntochter hat der
vermutlich vorsätzlich herbeigeführte Absturz des Airbus A 320
Konsequenzen. Unabhängig davon, ob solche Tragödien verhindert werden
können, wird von Fluggesellschaften nun gefordert, dass sie ihre
Piloten genauer und mehr als einmal auch auf ihre psychische Eignung
untersuchen. Dieser Reflex ist wenige Tage nach dem Absturz
menschlich und verständlich. Ebenso gehört die Cockpit-Sicherung auf
den Prüfstand.
Von 1976 bis heute sind weltweit sechs Fälle von Piloten bekannt,
die sich mit ihrer Maschine umgebracht und Passagiere mit in den Tod
gerissen haben sollen. Auch über den Kapitän des verschollenen
malaysischen Flugs MH 370 wird spekuliert, eine Selbsttötung im
Cockpit vollzogen zu haben – inklusive Massenmord.
Was die Angehörigen und Freunde der 149 Absturzopfer fühlen,
wissen nur die Betroffenen selbst. Ihre Trauer ist seit gestern eine
andere. Wer bei einer Flugzeugkatastrophe einen Menschen verliert,
sucht nach Gründen. Ein technischer Defekt ist als Ursache leichter
zu ertragen als die Wahnsinnstat eines oder mehrerer Menschen. Es
gibt nach Lage der Fakten einen Schuldigen, einen Täter. Die Frage,
warum ein womöglich Lebensmüder 149 Menschen mit in den Tod gerissen
hat, statt sich von einer Brücke zu stürzen, bleibt wohl
unbeantwortet.
Beim Suizid eines Piloten getötet zu werden, läuft nicht unter
allgemeinem Lebensrisiko. Dieses Gefühl drückt Ulrich Wessel,
Schulleiter des Joseph-König-Gymnasiums in Haltern, mit den Worten
aus: »Es ist noch viel, viel schlimmer, als wir gedacht haben. Es
macht uns wütend, ratlos und fassungslos.«
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sich der
Flugverkehr verändert. Von den Kontrollen beim Einchecken bis zur
Cockpit-Tür, die nicht mehr von außen zu öffnen ist, sind die
Sicherheitsmaßnahmen verschärft worden. Und als Fluggast schaut man
sich seitdem Mitreisende – zumindest unterbewusst – etwas genauer an.
Versuchen Passagiere künftig, einen Blick auf die Crew zu werfen,
bevor sie an Bord gehen? Macht der Pilot einen psychisch stabilen
Eindruck? Der mutmaßliche Selbstmord von Andreas Lubitz ist ein so
derart extremer Einzelfall, dass er kaum längerfristige Auswirkungen
auf das Reiseverhalten haben dürfte.
Ob technischer Defekt wegen mangelnder Wartung, Terroranschlag
oder Selbstmörder im Cockpit: Die unfassbare Tat zeigt, dass am Ende
immer der Mensch der unberechenbare Faktor ist.
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Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
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