Die Formel klingt simpel: Lebensmittelerzeuger
täuscht, hinreichender Verdacht besteht, Name des Verursachers wird
veröffentlicht. Dieses Prinzip des schwarz-gelben Gesetzentwurfs
würden viele Bürger in einem ersten Impuls unterschreiben. Der Ärger
über den Betrug ist so groß, dass der Ruf nach einer Art Pranger
lauter wird. Einfache Formeln bergen allerdings das Risiko, dass sie
ungeahnte Folgen mit sich bringen können. Über dem Entwurf schwebt
die Frage: Was ist ein »durch Tatsachen hinreichend begründeter
Verdacht«? Diese Formulierung ist zu schwammig, um eine scharfe
Trennlinie zwischen Ahnden und Verleumden zu ziehen. Die Behörden
sollen »sachgerecht abwägen«. Doch selbst wenn ein Mitarbeiter genau
prüft, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass in einigen Fällen ein
Unternehmen zu Unrecht vorgeführt wird. Verdächtigt wird schnell,
bestätigt nicht. Entscheidend ist die Abwägung zwischen dem Interesse
des Verbrauchers und dem Schutz der verdächtigten Firma. Die Lösung
bei einer Gesundheitsgefährdung ist leicht, eine Namensnennung
gerechtfertigt. Die Gefahr ist größer als das Risiko. Wenn
Industrieöl in Tierfutter gemischt wird wie beim Dioxin-Skandal, ist
das eine bewusste Gefährdung der Gesundheit der Verbraucher.
Täuschung wie durch falsche Etiketten ist aber etwas völlig anderes.
Darf jemand schon beim bloßen Verdacht des Betrugs in die
Öffentlichkeit gezerrt werden? Die wirtschaftlichen Schäden des
Produzenten wären enorm. Und am Ende interessiert niemanden, ob sich
der Verdacht bestätigt oder nicht. Es darf bei dem nachvollziehbaren
Zorn auf dreiste Lebensmittelbetrüger nicht vergessen werden: Von
falsch deklarierten Eiern oder Pferdefleisch statt Rindfleisch stirbt
niemand. Verdachtsfälle würden laut Gesetzentwurf eben nicht
veröffentlicht, weil Gefahr für Leib und Leben der Kunden besteht,
sondern weil der Verbraucher besser informiert werden soll. Das
Ansinnen ist grundsätzlich lobenswert. Es schadet aber bei einem
falschen Verdacht mehr als es nutzt. Außerdem will der Kunde nicht
den Verdächtigungen, sondern stichhaltige Beweise. Einen erheblichen
Schaden könnte die Neuregelung für die Länder bedeuten. Sie sind in
Regresspflicht, weil Verbraucherschutz vor allem Ländersache ist.
Würde der Bund die klare Vorgabe machen, dass jeder Verdachtsfall zu
nennen ist, wäre das anders. Weil das nicht passiert, werden
Erinnerungen an die Birkel-Affäre wach. Weil das Regierungspräsidium
Stuttgart 1985 auch vor Produkten der Firma warnte, klagte der
Nudelmacher. Es kam zum Vergleich. Baden-Württemberg musste 12,8
Millionen Mark Schadensersatz zahlen. Es ist nur ein kleiner Schritt
vom Verbraucherschutz zum Pranger. Der Gesetzentwurf klingt in der
Theorie gut, könnte aber in der Praxis problematisch sein. Auch wenn
er zweifellos mit bester Absicht heute in den Bundestag eingebracht
wird.
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