Angela Merkel und Barack Obama haben es gestern
noch einmal unterstrichen: Das Freihandelsabkommen TTIP ist aus ihrer
Sicht ein Muss. Das hat schon der Besuch des US-amerikanischen
Vizepräsidenten Joe Biden in Brüssel deutlich gemacht: Die USA ringen
um den europäischen Partner, weil sie ihn für ihre wirtschaftliche
Entwicklung brauchen.
TTIP, das geplante Freihandelsabkommen für einen Markt mit mehr
als 850 Millionen Verbrauchern, soll ein Katalog voller Standards
werden, die auch für Beziehungen zu Asien, Lateinamerika und Afrika
gelten können. Das macht die Vereinbarung so wertvoll und
unverzichtbar – für beide Seiten. Biden musste sich nicht nur
skeptische Fragen anhören, die ihre Ursache in den vergangenen
Skandalen haben. Europa misstraut den USA, seinen Einstellungen zu
Demokratie und Schutz der Privatsphäre, zu Verbraucherschutz und dem
Recht des Staates, die Marktwirtschaft ordnen zu können – und sie
nicht letztlich dann doch den Unternehmen überlassen zu müssen. Viele
dieser Unsicherheiten hätte Washington längst ausräumen können, wenn
man die eigenen Vorschläge über die Gestaltung dieser
Wirtschaftsunion auf den Tisch legen würde. Bisher redet man, aber
man verhandelt nicht. Noch immer fehlen Positionen, die klarmachen,
wie die Obama-Regierung ihre Versprechen einlösen will, europäische
Standards zu akzeptieren und sich auf Besonderheiten des Marktes
einzulassen. Das mag eine Verhandlungsstrategie sein,
vertrauensbildend ist das nicht.
Dabei brauchen die Vereinigten Staaten Europa nicht nur – in
Washington weiß man, dass von diesen Gesprächen mehr abhängt als nur
dieses eine Handelsabkommen. Europa steht in einem handfesten
Konflikt mit Russland, bei dem es auch um die Frage geht, wie sich
die geopolitischen Kräfteverhältnisse in den nächsten 20 bis 30
Jahren verschieben – oder auch nicht. Wird die EU ihre inneren Krisen
lösen können? Wird sie Moskau dann als Partner oder als Gegner
gegenüberstehen? TTIP ist aus amerikanischer Sicht auch der Versuch,
Europa dauerhaft an sich zu binden. Für die EU geht es auch um die
Frage, welchen Platz man zwischen den Machtblöcken in Ost und West
einnimmt, ohne zerrieben zu werden. Wie sehr sich dieses Machtgefüge
der transatlantischen Partner verschoben hat, zeigt der
Ukraine-Konflikt. Washington hat sich mit seiner Sanktionspolitik
gegen Russland bisher weitgehend auf die behutsame EU-Strategie
eingelassen. Das gab es niemals zuvor. Dabei spielt TTIP eine
zentrale Rolle.
Das ist eine Chance – wenn die USA verstehen, warum die Europäer
an ihren Errungenschaften festhalten wollen. Und wenn sich die USA
von der Vorstellung freimachen, dass man immer und überall eine
Vormachtstellung erkämpfen muss. Nicht das Chlorhühnchen entscheidet
über die Zukunft der beiden Partner, sondern das gegenseitige
Übernehmen der besten Standards.
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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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