Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Start der Olympischen Spiele

Die Zahl der Zuschauer, die am Freitagabend via
TV die Eröffnung des größten Sportereignisses der Welt live verfolgt
haben, wird auf vier Milliarden geschätzt. Schneller, höher, weiter,
der Kampf um Medaillen, die Dramen und Helden: Die Faszination von
Olympia ist ungebrochen. Das gilt aber auch für die Tendenz, den
Sport, die Sportler, in den Hintergrund zu drängen. Einen Großteil
der Schuld daran tragen die Funktionäre, denen es nicht um die
Vertretung der Interessen der in ihrem Verband Organisierten geht.
Die eigene Reputation ist häufig wichtiger als das Wohlergehen derer,
um die es eigentlich gehen sollte. Geld und Quote tun ein übriges, um
den Athleten ins Abseits zu stellen. Manchmal grenzt das Verhalten
der Funktionäre an Gesundheitsgefährdung. Aber auch Medien
missbrauchen den Sport. In Zeiten von Großereignissen werden Themen
hochgejazzt, die dies zum Beispiel auch schon vor Olympischen
Spielen, vor einer Fußball-EM oder -WM, und auch danach, verdient
hätten. Vor den Spielen in Peking fiel auf einmal vielen auf, dass es
in China um die Menschenrechte nicht zum Besten bestellt ist (vier
Jahre später übrigens auch noch nicht). Und auch das
Demokratiepotenzial in der Ukraine war und ist steigerungsfähig. Wie
in Russland, wo vom 7. bis 23. Februar 2014 die Winterspiele
stattfinden werden. Ein Paradebeispiel für mediale Hysterie ist der
»Fall« Joachim Löw/Balljunge. Nachdem die Bilder gesendet waren,
hatten einige Online-Portale zwar nicht die Geschichte des Fußballs
neu geschrieben, meinten aber, einen neuen Bundestrainer entdeckt zu
haben. Nach der »Enthüllung« – die Bilder waren vor dem Spiel
aufgezeichnet worden – begann von genau denselben Medien eine
aufgebauschte Diskussion über Fälschung und Zensur. Denn das
Reinschneiden von aufgezeichneten Bildern in eine Livereportage ist
normal. Als sich 1988 Ben Johnson 100-Meter-Gold ergaunerte, wussten
es die Radiohörer übrigens schon fünf Minuten eher als die
TV-Zuschauer des damals übertragenden öffentlich-rechtlichen Senders.
Interessiert hat das niemanden. Das ist natürlich nicht richtig. Aber
jahrzehntelanges Ignorieren von Missständen lässt sich nicht in Tagen
aufarbeiten. Eine Diskussion über journalistische Ethik kann auch
jenseits von Fußball und Olympia geführt werden. So vertritt IOC-Vize
Dr. Thomas Bach die Ghorfa, eine Handelskammer für deutsche und
arabische Unternehmen auf dem arabischen und deutschen Markt, schon
seit dem 16. Mai 2006 als Präsident – und nicht, wie einige Medien
glauben machen wollen, erst seit gestern. In 26 Sportarten werden in
London 302 Olympiasieger gekürt. Aber nicht nur sie werden Milliarden
Menschen mit ihren Leistungen faszinieren. Olympia ist ein Fest der
Emotionen. Wir sollten sie genießen, ohne die Missstände zu
ignorieren. Der Sport hat diese Chance verdient.

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