Es ist wie ein plötzliches Gewitter im Paradies.
Am Himmel des arabischen Frühlings, der wenigstens in Libyen und
Tunesien zu demokratischeren Staatsformen geführt hat, blitzte es
stundenlang. Der Islamismus schlug in Bengasi ein. Die Proteste gegen
einen ominösen Film und die Anschläge von El Kaida, pünktlich zum
Jahrestag ihres größten Terroranschlags, zeigen der Welt: Osama ist
tot, aber schaut her, wir leben. Wir bomben, wir töten, wir werden
alle Ungläubigen vertreiben. Das symbolische Signal der Aktionen von
El Kaida ist nicht zu unterschätzen. Die Anschläge belegen, dass das
Terrornetz nach wie vor strategisch vorgeht. Das sind keine
Verzweiflungstaten einer Organisation im Endkampf. Bengasi ist die
Hauptstadt der libyschen Befreiungsbewegung und der liberalen,
säkularen Kräfte in Libyen. Ausgerechnet dort den Botschafter und
drei Diplomaten der stärksten Macht in Nahost zu ermorden, ist nicht
nur ein Racheakt für den Tod von El- Kaida-Kadern, es ist auch eine
Botschaft an die Libyer und die freiheitlichen, prowestlichen Kräfte
in der jungen Demokratie. El Kaida lebt und errichtet gerade im
Maghreb, im Norden Malis, ihren neuen Anlehnungsstaat. Und auch im
Jemen versucht sie es. Staatsgrenzen sind für sie fließend wie die
Sanddünen der Sahara, und überall im islamischen Raum gibt es leicht
entflammbare Massen. Die zweite Botschaft des 11. September 2012 ist
für Amerika ebenfalls ernüchternd. In Libyen und in Ägypten herrschen
die Sunniten, in Kairo sogar die Muslimbrüder. Die Ausschreitungen
vor den amerikanischen Botschaften dürften Washington klar gemacht
haben, daß das Kalkül der Obama-Regierung, nämlich im derzeitigen
großen Ringen in der islamischen Welt zwischen Sunniten und Schiiten
auf die (sunnitischen) Muslimbrüder zu setzen, nicht aufgeht. Es kann
auch nicht aufgehen. Die Muslimbrüder sind radikal denkende
Islamisten. Sie stehen den ebenfalls sunnitischen Wahhabiten in Saudi
Arabien und den sunnitischen Dschihadisten der El Kaida ideologisch
nahe. Sie unterscheiden nicht zwischen Politik und Religion, sie
wollen die Scharia, sie halten nicht viel von Menschenrechten
westlicher Prägung, von Demokratie und Gleichheit zwischen Mann und
Frau. Noch nie gab es so viele Genitalverstümmelungen und
Vergewaltigungen in Ägypten wie in diesem Jahr, noch nie wurden
Minderheiten so diskriminiert wie heute. Dennoch setzt Obama auf die
Muslimbrüder als Mainstream unter den Sunniten und wettert gegen den
Iran als Führungsmacht der Schiiten. Aber diese islamische Rechnung
hat zu viele Unbekannte, zu viele Untiefen im explosiven Halbmond
zwischen Casablanca und Taschkent. Die Stichflammen aus der Tiefe in
Ägypten, die Exzesse im Jemen und die Blitze über Bengasi zeigen,
dass es besser wäre, einfach auf die Menschenrechte zu setzen, so wie
es die UNO-Charta eigentlich von allen verlangt – auch von Muslimen.
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