Die Faktenlage im Fall Steinigungsurteil bleibt
widersprüchlich. Gestern wurde erneut deutlich: Der Fall der Iranerin
Sakineh Mohammadi-Aschtiani prangt als der dunkelste Fleck auf der
gar nicht so weißen Weste von Staatspräsident Mahmud Achmadinedschad.
Die Steinigung der Frau ist vom Tisch, aber die Frage Tod durch den
Strang oder zehn Jahre Foltergefängnis bleibt offen. Weltweit hat das
Skandalurteil dem Regime geschadet und tut das weiterhin. Vermutlich
ist die gestrige, äußerst ungewöhnliche Ankündigung der Aussetzung
der Todesstrafe ein Versuch, vor wichtigen Atomgesprächen
Sympathiepunkte zu sammeln. Solange nicht die Justizbehörden
bestätigen, dass Frau Aschtiani die Vollstreckung erspart bleibt, hat
die vermeintlich gute Nachricht noch zu wenig Substanz. Wenn es also
etwas Positives im jüngsten Verwirrspiel aus Teheran gibt, dann ist
es, dass überhaupt Bewegung in die Sache kommt. Das gilt auch für die
zwei deutschen Reporter, die während eines Interviews mit dem Sohn
von Frau Aschtiani inhaftiert wurden. Das Regime ist bemüht, die zwei
Journalisten möglichst weit aus dem Blick zu rücken. Dem diente
zuletzt auch eine vermutlich erzwungene Klage von Frau Aschtiani
darüber, dass die Deutschen ihrem Fall schadeten. Hierzulande
spekuliert das Teheran-freundliche PR-Portal www.irananders.de
unterdessen über möglichicherweise segensreiche Wirkungen einer
Entschuldigung des Springerverlags für Vergehen ihrer Reporter. Weiß
man dort mehr? Menschenrechtler wundert, dass einzelne deutsche
Leitmedien den Ball auffällig flach halten. Das Magazin »Der Spiegel«
stellt in dieser Woche, inhaltlich völlig korrekt, Untaten des
israelischen Geheimdienstes in einer großen Titelgeschichte dar –
einschließlich des in diesem Jahr bereits zweiten Wortlautinterviews
mit führenden Leuten des Regimes. Iran wird seine Freude daran haben.
Auch sollen Diplomaten derzeit bemüht sein, allzu Kritisches über den
Iran aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Eine leichte
Gewichtsverschiebung in der Nachrichtenbewertung entspräche durchaus
der großen Politik. So beobachten die Europäische Union und die
Vereinten Nationen zwar das Nuklearprogramm aufmerksam, sie blenden
aber die systematische Entrechtung der Iraner weitgehend aus. Ein
Blick auf viele andere Fälle politischer Justiz zeigt jedem, der
sehen will, dass sich die Islamische Republik Iran Schritt für
Schritt auf totalitäre Verhältnisse zubewegt. Das dort solcherart
erzeugte Klima der Angst ebnet den Weg zur totalen Gleichschaltung.
Dazu passt das iranisch-islamische Rechtssystem, das die Erlaubnis
zum Töten ohne Gerichtsurteil bereithält. Für Extremisten und
Milizangehörige ist das wie eine Einladung zum Mord an Gegnern des
Systems – ganz ohne Zuschauer.
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Andreas Kolesch
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