Drei Jahre liegt der Skandal um Kindesmissbrauch
an Schulen und Heimen zurück. Politische Konsequenzen gab es nur
vereinzelt. Das Schlimmste daran ist, dass es die wenigsten bemerkt
haben. Die gestrige Bilanz des Runden Tisches zu sexuellem
Kindesmissbrauch hat vielen die Augen geöffnet. Es geht alle an, wenn
Maßnahmen nicht umgesetzt werden, die Kinder schützen und Opfern
helfen sollen. Pro Tag gibt es 33 Anzeigen wegen Kindesmissbrauchs in
Deutschland. Die Dunkelziffer ist hoch. Was mögen Betroffene denken,
wenn sie sehen, dass die wichtigsten der schon 2011 genannten
Empfehlungen des Runden Tisches in politischen Mühlen und Lagerkampf
zerrieben werden? Sie wenden sich angewidert ab. Zu Recht. Es ist
unerträglich, dass sich Bund und Länder immer noch nicht auf den
100-Millionen-Euro-Hilfsfonds für Opfer einigen können, während
regelmäßig im Eilverfahren Milliarden für EU-Krisenstaaten
durchgewunken werden. Der Kindesmissbrauch-Skandal als sensibles und
trauriges Kapitel ist der denkbar schlechteste Boden, um darauf
politisches Gerangel auszutragen. Hier haben ausnahmslos alle
Parteien versagt. Das heißt nicht, dass die Umsetzung der Ideen des
Runden Tisches nicht hinterfragt werden darf. Wenn das aber dazu
führt, dass der Fonds schrumpft und ein Opferschutz-Gesetzentwurf 20
Monate im Ausschuss steckenbleibt, ist das inakzeptabel. Das haben
die Opfer nicht verdient. Denn der Entwurf zollt ihrer zentralen
Forderung Respekt. Die Verjährungsfrist soll auf 30 Jahre verlängert
werden. Derzeit verjährt Kindesmissbrauch bereits nach drei Jahren.
Ein paar Fortschritte sollen nicht verschwiegen werden. 32 Millionen
Euro für Forschung auf dem Gebiet sind ein Signal. Mehr
Aufklärungsangebote und ein Kinderschutzgesetz, das einschlägig
Vorbestrafte von der Arbeit mit Kindern ausschließt, sind ein Anfang.
Mehr aber nicht. Wird es konkret, gibt es wenig zu loben. Es
existiert kein flächendeckender Zugang zu Traumatherapien.
Beratungsstellen sind unterfinanziert. Die Regierung räumt selbst
ein, dass Opfer lange auf Therapien warten. Dabei ist das der Anker
der Aufarbeitung. In einem Punkt ist jedoch nicht die Politik,
sondern die katholische Kirche am Zug. Das Missbrauchsausmaß ist
weiter offen. Den Versprechen nach dem Scheitern der Pfeiffer-Studie
müssen Taten folgen. Und nach wie vor prüfen keine Unabhängigen
Entschädigungen, sie werden nach kirchlichem Gusto entschieden. In
der Kirche wie abseits von ihr ist die entscheidende Frage
unbeantwortet: Warum konnten Schulen und Internate zu Orten werden,
die unbemerkt auf so grausame Weise agierten? Kommissionen genießen
wenig Achtung. Hier wäre eine nötig, die endlich klärt, welche
Kontrollen es braucht, um das zu verhindern. Sie muss – anders als
der Runde Tisch – überwiegend mit Betroffenen besetzt sein. Nur sie
wissen wirklich, wovon sie reden.
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