Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Libyen

Libyen

Raketen und Zeigefinger Von Jürgen Liminski Es sind wieder einmal
die schwersten Angriffe der Nato auf Stellungen des Diktators Muammar
al-Gaddafi in Libyen. Die Franzosen setzen sogar Kampfhubschrauber
ein, was in der Tat eine Eskalation bedeutet. Da ist militärisch der
Schritt zu Bodentruppen nicht weit. Schon der Einsatz der
Hubschrauber dürfte von der UN-Resolution nicht mehr gedeckt sein.
Aber wen kümmert das Völkerrecht? Hugo Grotius, einer der Väter des
Völkerrechts, hat gesagt: »Die Macht eines Fürsten reicht so weit wie
die Gewehrkugel aus seinem Gewehr.« Also wird das Völkerrecht oder
das, was man dafür hält, militärisch mit fast allen Mitteln
durchgesetzt. Dass dabei auch der Ruf der Nato Schaden nimmt, liegt
bereits außerhalb der Reichweite der Hubschrauberraketen. Im
Klartext: Man will den Diktator loswerden, koste es was es wolle. Das
ist eine politische Machtfrage, und um dem Gegner seinen Willen
aufzuzwingen, hält man es eben lieber mit Clausewitz, für den der
Krieg nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln war. In
diesem Fall zielt der Wille expressis verbis auf die Durchsetzung von
Menschenrechten – und, unausgesprochen, auch auf künftige preiswerte
Ölgeschäfte mit dem Nachfolgeregime Gaddafis. Diese Geschäfte mit dem
schwarzen Gold aus dem arabischen Raum nämlich sind durch die
Menschenrechtsaktivisten in ebendiesem Raum bedroht. Niemand weiß
heute, wohin die arabische Welt treibt und was mit den Rohstoffen
geschieht. Da ist es gut, sich beizeiten Freunde zu schaffen, die
Dank schuldig sind und über ergiebige Energiereserven verfügen.
Natürlich ist Gaddafi ein Verbrecher, der keine Gnade verdient,
solange er auf sein eigenes Volk schießen lässt. Einen faden
Beigeschmack bekommt die Geschichte allerdings, wenn man den eifrigen
Einsatz der Europäer in Libyen mit dem Einsatz für die Menschenrechte
in anderen Diktaturen der Region vergleicht. Zum Beispiel in Syrien.
Das Regime Assad dort ist nicht weniger brutal, dort lässt der
Diktator ebenfalls auf sein Volk schießen. Sein Freiheitswille hat
das syrische Volk schon mehr als 1000 Tote gekostet. Die
Demonstranten verbrennen russische und iranische Flaggen und zeigen
damit, dass sie ihr Land auch von den Einflüssen aus diesen Ländern
befreien wollen, deren Regime bekanntermaßen von Menschenrechten
nicht viel halten. Die Demonstranten in Syrien wollen mit den
Europäern ins Gespräch kommen. Die Europäer aber zögern, sperren ein
paar Konten und verbieten Mitgliedern des Terrorregimes die Einreise,
als ob diese gerade jetzt auf Tournee gehen wollten. Syrien hat halt
kein Öl. Es hat aber strategische Verbindungen – eben zu Russland und
Iran -, was es den Europäern offenbar geraten erscheinen lässt, nur
den Zeigefinger zu heben, aber nicht etwa Hubschrauber mit Raketen zu
schicken. So verspielt man Glaubwürdigkeit.

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