Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Tod von Helmut Schmidt

Der Mann mit der Mütze und der Zigarette ist
tot. Helmut Schmidt galt als Inbegriff des Hanseaten: belesen,
eloquent, weltoffen, bescheiden und stur, denn das Rauchen ließ er
sich von niemandem verbieten. Noch zuletzt qualmte er in Talkshows
von Sandra Maischberger, allen Protesten zum Trotz.

Helmut Schmidt war auch als Politiker nicht stromlinienförmig,
keiner, der sich nach Meinungsumfragen richtete und Paragrafen blind
folgte. »Ich habe das Grundgesetz nicht angeguckt in jenen Tagen«,
sagte er im Rückblick auf die Sturmflut 1962. Als Hamburger
Innensenator handelte er beherzt, umsichtig und vor allem
pragmatisch. Ohne eine gesetzliche Grundlage dafür zu besitzen,
forderte er Soldaten und Hubschrauber von Bundeswehr und Nato an.
Weil er sich als Krisenmanager bewährte, liebte Hamburg Schmidt
fortan und Deutschland wurde auf ihn aufmerksam.

Als Bundeskanzler in einer sozialliberalen Koalition wurde er
durch den Terror der RAF vor seine politisch größte Herausforderung
gestellt. Er meisterte sie, indem er unmissverständlich klarmachte,
dass sich der Staat nicht durch Terroristen erpressen lasse. Schmidt
ordnete die riskante, aber zum Glück erfolgreiche Stürmung der
Lufthansa-Maschine »Landshut« an, die am 13. Oktober 1977 von vier
palästinensischen Terroristen entführt worden war, um RAF-Mitglieder
freizupressen. Dass im Nachklang der Aktion Arbeitgeberpräsident
Hanns Martin Schleyer ermordet wurde, belastete Schmidt sehr: »Ich
bin am Tode Schleyers mitschuldig.«

Geprägt vom Zweiten Weltkrieg, setzte Schmidt die Lehren aus dem
Gemetzel in seiner Politik um, lehnte Nationalismus ab und setzte auf
ein zusammenwachsendes Europa. »Wir kamen aus dem Kriege, wir haben
viel Elend und Scheiße erlebt im Kriege, und wir waren alle
entschlossen, einen Beitrag dazu zu leisten, dass all diese
grauenhaften Dinge sich niemals wiederholen sollten in Deutschland«,
beschrieb er seine Motivation.

Obwohl er schon im Herbst 1986 aus dem Bundestag ausschied, blieb
Schmidt präsent. Das liberale Wochenblatt »Die Zeit« nutzte er als
sein Sprachrohr, zudem wurde der umfassend gebildete Volkswirt und
SPD-Politiker bis zuletzt immer wieder zu wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Themen gehört. Er war wohl der meistbefragte
Deutsche überhaupt.

Schmidt, nicht Gott habe die Welt erschaffen, scherzten Uwe Lyko
und Wilfried Schmickler als »Loki und Schmoki« in der Kabarettsendung
»Mitternachtsspitzen«. Schmidts lange Ehe mit »Loki« galt als
mustergültig, Skandale hingen ihm nicht an, und Bescheidenheit war
für Schmidt kein leeres Wort: Den Verdienstorden der Bundesrepublik
mit Stern und Schulterband lehnte er ab. Mit 96 ist der Grandseigneur
der Politik gestorben. Deutschland hat eine moralische Instanz, einen
faszinierenden Menschen verloren.

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Andreas Kolesch
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