Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Umgang mit Erdogan

Die Kanzlerin mit einer Hakenkreuz-Armbinde und
der Finanzminister in SS-Uniform: Solche Darstellungen mussten sich
Angela Merkel und Wolfgang Schäuble auf dem Höhepunkt der Eurokrise
von griechischen Medien gefallen lassen. Sie nahmen es zumindest nach
außen gelassen hin.

Ganz anders der türkische Präsident Erdogan: In seinem Staat
sperrt er soziale Netzwerke, übernimmt missliebige Zeitungen und
beschwert sich nun sogar über TV-Beiträge im Ausland. Das ist der
Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Autokratie,
zwischen Volkssouveränität und Sultanat.

Warum Erdogan das macht? Weil er es kann, und weil ihn niemand
aufhält – nicht in der Türkei und schon gar nicht in Europa. Seitdem
der Flüchtlingsdeal mit der EU wasserdicht ist, hat Erdogan den
Kontinent in der Hand. Wie erpressbar sich die EU und allen voran
Deutschland gemacht haben, zeigt das laute Schweigen in Berlin. Man
hätte sich gestern klare Worte von Bundesaußenminister Frank-Walter
Steinmeier (SPD) gewünscht. In dieser diplomatischen Affäre ist es
die Pflicht des Dienstherrn, seinem Botschafter den Rücken zu
stärken. Dass Martin Erdmann öffentlich Kritik an der Türkei übt,
ist ein bemerkenswerter, weil ungewöhnlicher diplomatischer Vorgang.
Normalerweise begibt sich ein Botschafter nicht auf solches Terrain.
Und wenn doch, holt er sich vorher Rückendeckung aus dem Auswärtigen
Amt.

In vorauseilendem Gehorsam hatte der Bundestag bereits Ende
Februar, kurz vor dem ersten EU-Türkei-Flüchtlingsgipfel, auf eine
Erklärung zum Völkermord der Türken an den Armeniern im Jahr 1915
verzichtet. Damit sollten die Gespräche nicht belastet werden. Glaubt
jemand, dass eine solche fraktionsübergreifende Resolution zu einem
Genozid, der mehr als 100 Jahre zurückliegt, noch zustande kommt?

Dem türkischen Präsidenten kann die Stimmung in Deutschland nicht
egal sein. Bei uns leben etwa 1,5 Millionen türkische Bürger, die in
der Türkei wahlberechtigt sind. Knapp 60 Prozent von ihnen haben im
November die Erdogan-Partei AKP gewählt. Auf ihre Stimmen kann und
will der Präsident nicht verzichten. Auch das ist ein Grund für die
Reaktion auf die Satire. Könnte ja sein, dass sich vereinzelte
türkische Zuschauer in die Sendung »extra 3« verirren. Wenn in der
Flüchtlingskrise von europäischen Werten die Rede ist, führt der
Moralapostel Deutschland gerne das Wort. Doch wenn es ganz konkret um
die Verteidigung dieser Werte geht, kommt von der Bundesregierung
leider nichts.

Man muss es wohl einsehen: Deutschland hat sich von Erdogan
abhängig gemacht und ihm die Flüchtlinge als Druckmittel in die Hand
gegeben. Das hat mit Werten und Moral ziemlich wenig zu tun.

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Andreas Kolesch
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