Der Schritt war unumgänglich. Der Rücktritt nur
eine Frage der Zeit. Hätte Martin Winterkorn nicht angeboten, sein
Amt als Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns aufzugeben,
dann hätte der Aufsichtsrat ihn abberufen müssen. Nur so besteht der
Hauch einer Chance, das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht komplett
zu verspielen. Es geht um Schadensbegrenzung.
Als Kopf des Unternehmens trug Winterkorn letztlich die
Verantwortung – für die Mitarbeiter und für die Produkte, die die
Werke verließen. Auf die hatte der Technik-Freak von Anfang seiner
Karriere an gemeinsam mit seinem Ziehvater und langjährigen
Weggefährten Ferdinand Piëch ein besonderes Augenmerk. Beiden war
klar, dass nur mit hochwertigen Fahrzeugen zu akzeptablen Preisen das
Ziel zu erreichen war, die Nummer eins der Autohersteller zu werden.
Kurz vor dem endgültigen Gipfelsturm das Desaster. Erst musste Piëch
nach einem verlorenen Machtkampf mit Winterkorn das Feld räumen,
jetzt folgt der Sieger des undurchsichtigen Kräftemessens, bei dem VW
im Frühjahr schon eine schlechte Figur machte.
Gerade weil Perfektionist Winterkorn so sehr mit der Technik der
Autos vertraut ist, muss er von der Software für die Dieselfahrzeuge
gewusst haben. Das Zurückweisen jeglichen Fehlverhaltens dürfte auch
aus rechtlichen Gründen erfolgt sein. Trotz der jetzt
aufgedeckten Betrügereien bei den vor vielen Jahren eingeführten
Motoren ist unbestritten, Autos von VW und den Tochtermarken waren
und sind von hoher Qualität. Doch es wird ein langer und
beschwerlicher Weg werden, den Kunden das weiterhin bewusst zu
machen. Der Vertrauensverlust ist enorm. Und vermutlich weitaus
schmerzlicher als die finanziellen Forderungen, die auf das
Unternehmen zukommen. Der Rücktritt Winterkorns wird weder
Behörden noch Anwälte beschwichtigen. Der Betrug kommt den Konzern
teuer zu stehen.
Auch deshalb ist es wichtig, in der Nachfolgefrage die richtige
Entscheidung zu treffen. Wer diesen Posten in den kommenden Jahren
bekleidet, der ist nicht zu beneiden. Er muss sich nicht nur
rechtfertigen für die Verfehlungen seines Vorgängers, er muss
verlorenes Terrain zurückgewinnen, alles daran setzen, die hässlichen
Kratzer auf dem einstmals glänzenden Lack wegzupolieren. Für den
Konzern und damit auch für das Ansehen der gesamten deutschen
Wirtschaft. Das nämlich leidet erheblich unter dem Debakel der
Vorzeigemarke VW.
Durchaus denkbar, dass der von BMW gekommene Herbert Diess, erst
seit wenigen Monaten Chef der Marke VW und deshalb unbelastet,
diesen Auftrag bekommt. Das Können hätte auch Porsche-Vorstand
Matthias Müller. Doch sein Gang nach Wolfsburg würde beim
Sportwagenhersteller, derzeit der Goldesel des Konzerns, eine riesige
Lücke reißen.
Bleibt abzuwarten, ob der Aufsichtsrat dieses Risiko eingeht.
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Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
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