An den internationalen Finanzmärkten spielt die
Psychologie fast eine so große Rolle wie die harten Fakten. Das ist
im Ringen um die Kreditwürdigkeit der Euro-Staaten nicht anders.
Schon Stunden, bevor die US-Ratingagentur Standard & Poor–s (S&P)
ihre Entscheidung bekanntgab, sorgten Spekulationen darüber an den
Börsen für fallende Kurse, zum schwarzen Freitag aber kam es nicht.
Die im Gegenzug von europäischen Politikern und Wirtschaftsexperten
demonstrierte betonte Gelassenheit einerseits und deutliche Kritik an
S&P andererseits sind zunächst einmal natürliche Reflexe. Inwieweit
diese von Fakten untermauert sind, ist Ansichtssache – getreu des
halbleeren oder eben halbvollen Wasserglases. Das gilt für die
zuletzt deutlich gefallenen Zinsen, die schuldengeplagte Länder wie
Italien und Spanien für frisches Geld zahlen müssen. Einige werten
dies als Beweis für wiedergewonnenes Vertrauen in die
Konsolidierungsbemühungen, manche einfach als Normalisierung nach
Übertreibungen. Andere sprechen dagegen von einem politisch
motivierten Verschiebebahnhof, bei dem von der EZB an Banken billig
ausgegebenes Geld in besser verzinste Anleihen der eigenen Länder
investiert werde. Auch bei der Kritik an dem US-amerikanischen
Ratingriesen lassen sich zwei Seiten der Medaille betrachten. Der
scheinbar zuletzt unter Kontrolle gebrachte Euro-Brandherd droht
durch die Herabstufungen neu entflammt zu werden. Kritiker werfen S&P
politische Einmischung zur Unzeit vor. Wieder einmal ist die
Ratingagentur spektakulär vorgeprescht, während die Konkurrenten
Fitch und Moody–s deutlich geräuschloser und vorhersehbarer agieren.
Statt die Beschlüsse des EU-Ratsgipfels am 30. Januar abzuwarten,
senkte S&P aus heiterem Himmel den Daumen. Es wird gemunkelt, dass
sich die Agentur nicht die Aufmerksamkeit mit dem Rivalen Fitch
teilen wollte, der diesen Termin für sich schon gepachtet hatte. Das
nicht auf Befindlichkeiten Rücksicht genommen wird, lässt sich aber
auch als Ausdruck der Unabhängigkeit auslegen. Der Druck auf die
Politik, Worten Taten folgen zu lassen, wird durch angedrohte oder
vollzogene Herabstufungen erhöht. Das hat durchaus seine positive
Seite. Das zeigt die Tatsache, dass im Euroraum das Problem der
Staatsverschuldung endlich als ein solches angesehen wird. Auf dem
Weg zu Erfolgen müssen dabei die Abstufungen keineswegs dramatisch
und auch nicht teuer sein. Das wird am Beispiel USA deutlich. Der
weltgrößten Volkswirtschaft entzog S&P schon im August das dreifache
A. Seither sind die Zinsen für Washington sogar gesunken.
Entscheidend wird weiterhin sein, dass die europäischen Staaten die
Vertrauenskrise und ihre Schulden in den Griff kriegen, ohne dabei
die Wirtschaft abzuwürgen. Dabei sind weder große Gelassenheit noch
künstlich erzeugte Hektik gute Berater.
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